Der Wunsch des Vaters wurde nicht erfüllt, weil der Kaiser den Befehl
bereits gegeben hatte.
Dieser Brief ist grundlegend wichtig, weil er das Urteil des Vaters über den
damaligen Prinzen Wilhelm enthält — nur knapp zwei Jahre, bevor dieser
den Thron bestieg. Damals also noch war das Urteil über das Wesen seines
ältesten Sohnes ein derartiges, daß er auch nur die Beschäftigung des Prinzen
mit auswärtigen Fragen dem Reichskanzler gegenüber für geradezu gefähr-
lich hielt, wegen des Mangels an Reife seines Sohnes, wegen der Lücken-
haftigkeit seiner Kenntnisse, wegen seiner Überhebung, Überschätzung und
seines sehr raschen, zur Übereilung neigenden Urteils.
Wie ernst es dem damaligen Kronprinzen, späteren Kaiser Friedrich, war,
ergibt sich aus der Tatsache, daß er trotz der Entscheidung des Kaisers sich
an Bismarck wandte, um diesem die peinliche Mitteilung zu machen, die ihm
eine Gewissenspflicht war und gewiß eine schwere von seinem Vaterstand-
punkt aus. Prinz Wilhelm war 1859 geboren, also im Jahre 1886 war die
Warnung des Vaters immerhin ein Umstand, der mit gewissen Besorgnissen
für die Zukunft erfüllen mußte. Denken wir an die Reihe früherer deutscher
Kaiser, so sind unter ihnen manche in viel jüngeren Jahren auf den Thron
gekommen, von Anfang an vom Gefühl ihrer Würde, aber ohne Ausnahme
von dem beherrschenden Drang erfüllt, ihrer Herrscheraufgabe mit allen
Kräften gerecht zu werden. .
Im dritten Bande seiner ‚Gedanken und Erinnerungen“ bedauert Bis-
marck überhaupt, daß der Prinz vor seiner 'Thronbesteigung nicht in die
richtigen Umgebungen gekommen sei, sondern eigentlich nur das Leben im
Garde-Regiment kennengelernt habe. ‚Fr ist dann auch mit Anschauungen
auf den Thron gekommen, die für unsere preußischen Begriffe neu und nicht
durch unser Verfassungsleben geschult sind.“
In denselben Zusammenhängen berichtet Bismarck, daß der Prinz seit
1884 einen zuzeiten lebhaften Briefwechsel mit ihm, dem Kanzler, unter-
halten habe. Aus diesem hat Bismarck einige Schreiben veröffentlicht. Sie
sind uns heute so aufschlußreich und deshalb von so erheblicher Bedeutung
für die Beurteilung des Wesens des späteren Kaisers, daB wir auf sie ein-
gehen wollen. Das sind zwei Briefe, deren Beantwortung durch Bismarck für
den Prinzen die Ursache für eine erste Verstimmung gebildet hat:
1887 lud der damalige General- Quartiermeister Graf Waldersee zu einer
internen Versammlung ein. Prinz Wilhelm und seine Gattin und der Hof-
prediger Adolf Stöcker waren die Hauptpersonen, außerdem, wie Bismarck
schreibt, Abgeordnete und andere bekannte Persönlichkeiten. Die Ver-
sammlung galt der Beschaffung von Geldmitteln für die Berliner Stadt-
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