Full text: Von Potsdam nach Doorn.

„Diesem Schachzug zu widerstehen wurde meinem Herrn nicht leicht. Er 
wiederholte mehrmals die Erwägung: ‚Dreißig regierende Herren und ein 
König als Kurier!‘‘‘ Die Einladung war in der Tat ein Schachzug zur Ver- 
hinderung der Gewinnung preußischer Unabhängigkeit und für ‚‚fürstliche 
Solidarität‘‘ im Kampf gegen den parlamentarischen Liberalismus, dem 
gleichen Kampf, den Bismarck mit anderem Ziel damals in Preußen führte. 
Der König konnte sich von dem Gedanken der Solidarität der dreißig 
Fürsten so schwer trennen, auch, weil er noch immer an die Möglichkeit 
eines unter der Doppelherrschaft Preußen und Österreich zusammen- 
geschlossenen Deutschlands glaubte, weitab von dem Reich, von dem 
„Ewigen Bunde‘‘ der deutschen Fürsten, dessen Krone er widerstrebend am 
18. Januar 1871 sich als ‚‚Deutscher Kaiser‘‘ aufsetzen ließ. 
Bismarck konnte dem Könige nicht sagen und ebensowenig seinen Mi- 
nisterkollegen und vollends nicht dem preußischen Parlament: Alles, was ich 
tue, ob ich den Kampf gegen das Parlament führe, um Preußen seine ge- 
nügende Wehrkraft zu sichern, ob ich Krieg führe, um Schleswig-Holstein 
zu Preußen zu bringen, oder gegen Österreich, um Preußens Überlegenheit 
ein für allemal festzustellen, oder gegen Frankreich — alles dient lediglich 
dem Ziele, um schließlich die Einheit des Deutschen Reiches, unter Preußens 
Führung, zu gründen und zu errichten! Bismarck galt als der stockpreußische 
reaktionäre Junker, der in seinem frivolen Hang zu gewissenloser Gewalt- 
tätigkeit ohne deutsches Verständnis für die heiligsten Gefühle des deutschen 
Volkes, das sich nach Einheit und Reich sehnte. Der preußische Minister- 
präsident kenne und wolle nichts als ein reaktionäres Preußen. 
Sowohl die deutschen Fürsten wie die Liberalen, wie die Konservativen 
waren empört, als Bismarck in der schleswig-holsteinschen Frage den 
Fürsten Friedrich von Augustenburg nicht zum Herrscher eines neu zu er- 
richtenden unabhängigen Herzogtums Schleswig-Holstein machen wollte. 
Preußische Adlige beschworen Bismarck, den Krieg mit Österreich nicht zu 
führen. Sie begriffen sein Ziel nicht und riefen den Zorn Gottes auf ihn, der 
nicht in die Kirche ging, herunter wegen des ‚Bruderkrieges‘“. 
So mußte Bismarck bis wenige Jahre vor 1870 nach allen Seiten hin sein 
Spiel verbergen, um es gelingen zu lassen. Er mußte das ungeheure Miß- 
trauen, das ihm bald von dieser, bald von jener Seite entgegengebracht 
wurde, und den Haß ertragen. Er tat es, denn er war stark genug dazu. 
1876, nachdem das alles längst erledigt war, sagte Bismarck im Parlament 
einem alten Demokraten: ‚Ich habe Objektivität genug, um mich in den 
Ideengang des Abgeordnetenhauses von 1862 bis 1866 vollständig einleben 
zu können, und habe die volle Achtung vor der Entschlossenheit, mit der die 
damalige preußische Volksvertretung das, was sie für Recht hielt, vertreten 
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