Die von Bismarck selbst gemachte Reichsverfassung legte die Stellung
des Deutschen Kaisers in dieser seiner Eigenschaft klar und bestimmt fest,
während diejenige als König von Preußen in der preußischen Verfassung ver-
ankert war. Dieses deutsch-preußische Kaiser-Königtum sollte dauernd die
Achse sein, um die das Deutsche Reich zusammengeschlossen bliebe, ganz
verschieden von dem Königtum in parlamentarischen Staaten. Da war das
Parlament die Achse, das Königtum nur die Flagge an deren Spitze. Der je-
weilige König konnte und kann, je nach seiner Persönlichkeit, auch in parla-
mentarischen Staaten großen Einfluß gewinnen, das zeigte besonders das
Beispiel Eduards VII. von Großbritannien, oft sogar im Widerspruch zur
Verfassung. Die konstitutionelle Monarchie, wie Bismarck sie für das Reich
geschaffen hatte, aber stellte den Kaiser unbedingt über den Reichstag,
ebenso wie er, nach freiem Dafürhalten und Entschluß, seinen obersten Be-
rater, den Reichskanzler, auswählen und entlassen konnte.
Im Laufe unserer Darstellung ist das preußische Konservativentum
hauptsächlich in seinen Kämpfen mit Bismarck seit 1866 behandelt worden.
Die Konservativen hatten die Reichsgründung und die notgedrungen weit-
gehend liberale erste Ausgestaltung des Reichs Bismarck zum schweren
Vorwurf gemacht, der Kanzler ruiniere durch seinen Liberalismus Preußen
und damit auch das Reich. Ihr Ideal war eine unbedingte und offen betonte
preußische Vorherrschaft in einem Deutschland ohne souveräne Bundes-
staaten, sondern mit Vasallenstaaten Preußens; also das Ideal einer Ver-
preußung Deutschlands, und mit Notwendigkeit die Unmöglichkeit einer
freiwillig zustande gekommenen deutschen Einheit. Man dachte sich, daß
die preußische Machtstellung die anderen deutschen Staaten schon aus
Schutzbedürfnis Frankreich gegenüber zur Unterstellung unter Preußen
gezwungen haben oder zwingen würde. Es wurde bereits das sehr bezeich-
nende Wort des alten Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe über die ‚preußischen
Exzellenzen‘ angeführt.
Diese mächtige und nach Kräften einflußreiche Richtung sah sich nicht
imstande, die Reichspolitik Bismarcks und deren streng bundesgenössische
und damit verfassungsmäßige Grundlage zu erschüttern, zugunsten einer
preußischen Hegemoniepolitik. Die preußischen Konservativen trachteten
von langer Hand her, den Prinzen Wilhelm für ihre Pläne zu gewinnen und
überhaupt ihren Einfluß in Preußen und im Reich durch ihn zu stärken. Der
preußische Konservativismus, vertreten hauptsächlich durch den großen
Grundbesitz, viele hohe preußische Offiziere, soweit diese auch politische Be-
strebungen verfolgten, den Hofadel usw., waren der Ansicht, daß Bismarck
das Preußentum verwässere und allmählich zugrunde richten wolle, daß er
den Liberalismus fördere, daß er der altpreußischen christlichen Frömmig-
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