Full text: Von Potsdam nach Doorn.

In nachfolgenden Jahren mischte sich mit dem Ton der Drohung auch ein 
solcher der Furcht in kaiserliche Reden ein: Mitte der neunziger Jahre 
weihte der Kaiser die neue Kaserne des Alexander-Regiments ein und sagte 
in seiner Rede: „Ihr müßt bereit sein, Tag und Nacht euer Leben in die 
Schanze zu schlagen, euer Blut zu vergießen für euren König.‘ Dann er- 
innerte Wilhelm II. daran, daß diese Kaserne wie eine Festung und mit 
Schießscharten gebaut sei, mitten in Berlin. Dann dachte er an die Märztage 
des Jahres 1848 und sagte: Wenn die Stadt Berlin noch einmal mit Frechheit 
und Unbotmäßigkeit sich erheben sollte, dann müßten sie, die Soldaten, ‚‚mit 
der Spitze der Bajonette die Frechen und Unbotmäßigen zu Paaren treiben‘. 
Die sozialdemokratische Führung konnte mit jeder solchen und ähnlichen 
Rede des Kaisers immer nur eine neue Mehrung ihrer Macht und ihres Ein- 
flusses buchen : es war klar, daß sie immer mehr zum Gegenstand der Furcht 
wurde. 
1895 beging der Kaiser, mit ihm die Armee, die hohe Beamtenschaft, die 
deutschen Fürstenhöfe den fünfundzwanzigsten Jahrestag der Schlacht von 
Sedan. Während der Vorbereitungen zu diesem Fest einer großen Erinne- 
rung und weiterwirkenden Tatsache benutzte die Sozialdemokratische 
Partei die seit 1890 wiedergewonnene Freiheit der Presse und ergoß sich in 
einer wütenden Hetze gegen Reich und Staat, gegen den sogenannten Mili- 
tarismus und beschimpfte mit ausgesuchter Gemeinheit die Persönlichkeit 
Kaiser Wilhelms I. Der Kern der großen Hetze aber war in den folgenden 
Sätzen enthalten: 
„Wo ist der Mann unter dem deutschen Industrieproletariat, der solcher 
frechen Betätigung des Mordpatriotismus nicht hohnlachend und mit Ekel 
erfüllt gegenüberstände ? Wo ist der Hanswurst unter den Ausgebeuteten, 
der sich ohne Ingrimm im Herzen durch Beteiligung an solcher Feier ent- 
ehrte! Welcher klassenbewußte Arbeiter in deutschen Landen reichte im An- 
blick des mordpatriotischen Geheuls nicht mit doppelter Innigkeit seinen 
französischen Brüdern und Leidensgefährten die Hand, eingedenk der 
Losungsworte, vor denen die Bourgeoisie der ganzen Welt erblaßt, als vor 
einem Menetekel: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ 
Am 2. September fand im Königlichen Schloß zu Berlin die Sedanfeier 
des Kaisers statt — unter den Gästen befanden sich die Könige von Sachsen 
und von Württemberg —, in seiner Rede hieß es: 
„Ein einziger aufflammender Dank gegen Kaiser Wilhelm I.! Und für uns, 
besonders für die jüngeren, das, was der Kaiser gegründet, zu erhalten! 
Doch in die hohe, große Festesfreude schlägt ein Ton hinein, der wahrlich 
nicht dazugehört; eine Rotte von Menschen, nicht wert, den Namen Deut- 
sche zu tragen, wagt es, das deutsche Volk zu schmähen, wagt es, die uns ge- 
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