Beseitigung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln
in Eigentum der Gesellschaft, also: Grund und Boden, Gruben und Berg-
werke, Robstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Verkehrsmittel; Sozialisierung
der Warenproduktion durch die Gesellschaft und für sie.
Wahlrecht für Männer und Frauen mit zwanzig Jahren.
Über Krieg und Frieden entscheidet das Volk.
Alle Behörden werden durch das Volk gewählt; diese Forderung schließt
die Beseitigung der Monarchie ohne weiteres in sich.
Alle indirekten Steuern und Zölle werden abgeschafft.
Alle Rechtshilfe und aller ärztliche Beistand wird unentgeltlich gewährt.
Diese Forderungen, wie das Programm überhaupt, waren reiner Marx.
Zu ihrer Erfüllung konnte einzig und allein der Umsturz führen : Beseitigung
der Monarchie, der Verfassung und deren Ersatz durch die kommunistische
„Gesellschaft“. Das mächtige Wachsen der Sozialdemokratie damals wird
durch die folgenden Ziffern veranschaulicht: 1893 ergaben die Wahlen
44 sozialdemokratische Abgeordnete, 1898 — 56 Abgeordnete, 1%03 stieg
diese Zahl auf 81 Abgeordnete, und was die Stimmenzahl anlangte, gegen-
über der Zahl von 1898: von 2,1 Millionen auf 3 Millionen. In den .Folge-
jahren bis zum Weltkriege setzte sich das Steigen fort. Wäre der Krieg 1914
nicht gekommen, so würde man schon bald den sozialdemokratischen
Reichstagspräsidenten gehabt haben ; als Vizepräsident fungierte bereits der
Sozialdemokrat Scheidemann.
In einem Rückblick schrieb der liberale Pressechef des Reichskanzler-
amts, Geheimrat Hammann, unter Bülow:
„Das Kraftgefühl der Arbeitermassen ist vielleicht niemals unbändiger
gewesen als in der Mitte der neunziger Jahre. Jeder Mißerfolg der Regie-
rung, jeder Erfolg gegen das Unternehmertum schürte das Feuer. Welcher
Jubel zum Beispiel, als der Berliner Bierkrieg 1894 nach siebenmonatiger
Dauer mit einem Siege der Brauergehilfen, Küfer und Böttcher endigte! Die
Brauereien hatten einen Ring gebildet und eine Anzahl ihrer Arbeiter wegen
sozialdemokratischer Betätigung ausgesperrt. Die Friedensbedingungen
wurden von dem Abgeordneten Singer diktiert und enthielten die Anerken-
nung, daß der Arbeiter in der Betätigung seiner gewerkschaftlichen und
politischen Klasseninteressen nicht behindert werden dürfe.‘
Derselbe Geheimrat stellte in einer Schrift für das letzte Jahrzehnt des
alten Jahrhunderts seine Ansicht folgendermaßen fest:
„Um so gefährlicher für den Frieden im Innern des Reiches mußten neue
Versuche sein, die Bewegung mit Gewalt zu unterdrücken. Die Spannungen
waren bereits so stark, daß sie nicht weiter gesteigert werden konnten, ohne
eine Explosion hervorzubringen. Was war also zu tun ? Was wurde getan ?“
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