Die Fülle der Einzelheiten in diesem letzten ungleichen Ka:npfe des Kanz-
lers, in dem Gefühl der Verantwortlichkeit für die Zukunft des Vaterlandes,
für sein Werk und seiner Leidenschaft im Gefühl der Zusammengehörigkeit
mit diesem geben den Kaiser in dessen ungestümem Drange, seinen ‚‚popu-
lären Absolutismus‘ frei betätigen zu können — ist in dieser Zusammen-
fassung nur so weit berücksichtigt worden, als notwendig war, um deutlich
zu machen, welches die Motive und die Mittel auf beiden Seiten gewesen
sind. Ob sich bei einer dieser Unterredungen der Kaiser vergessen habe, oder
ob Bismarck einen oder mehrere seiner Leidenschaftsausbrüche bekommen
habe — solche Dinge können persönlich interessant sein und bleiben, aber
geschichtlich sind sie für die Beurteilung seiner Entlassung ohne Bedeutung,
nach der einen Seite wie nach der anderen.
Frühere und spätere Anhänger und Verherrlicher des Kaisers haben Bis-
marck besonders folgende Vorwürfe gemacht: er habe von vornherein dem
jungen Kaiser in seinen Wünschen nachgeben und trotzdem so lange bleiben
müssen, wie der Kaiser wünschte, um sich dann still zurückzuziehen. An-
statt dessen habe der Kanzler ‚‚eigensinnig‘ auf seinen Standpunkten be-
standen, seine allmächtige Stellung um jeden Preis behalten, den jungen
Kaiser als Schüler behandeln wollen. In der akuten Schlußkrisis habe Bis-
marck den Kaiser unerhört respektlos, verletzend und brutal behandelt.
In dieser Untersuchung liegt es fern, Bismarck und den Kaiser schwarz-
weiß oder weiß-schwarz nebeneinanderzustellen. Andererseits läßt sich bei
diesen beiden Persönlichkeiten das persönliche Moment auch für die Beur-
teilung im Politischen nicht ausschalten. Sehr viel einfacher und erfreulicher
würde die Aufgabe sein, wenn Wilhelm II. die sichere Hoffnung und die
Selbstzuversicht, die er auf sich und seine Tätigkeit ‚pränumerando“ setzte
— im Laufe seiner Regierung auch verwirklicht hätte. Man könnte in diesem
Falle schreiben: freilich habe der Kaiser den alten Bismarck ohne Rücksicht
behandelt und trotz seiner großen Verdienste in wenig schöner Weise zum
Rücktritt gezwungen. Er aber, der Kaiser, habe gewußt, was er von sich er-
warten und verlangen und wie Großes er leisten konnte; daß er in seiner
jungen Kraft und mit seinen genialen Gaben der großen Aufgabe voll ge-
wachsen war, den mit jeden Jahr mehr alternden Kanzler abzulösen, und,
wenn dieser nicht wollte, seine kaiserliche Autorität einzusetzen, und zwar
ohne Rücksicht, denn Reich und Volk standen auf dem Spiel.-Seinen kühnen
Entschluß hätten die Jahrzehnte seiner Regierung, habe die Geschichte
glänzend gerechtfertigt! —
Die Geschichte und die Freignisse von 1890 bis 1918 haben das gegen-
teilige Urteil gesprochen. Und wenn man damals, etwa bis zur Mitte der
neunziger Jahre, noch hoffen konnte und zu sagen sich verpflichtet fühlte:
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