Full text: Von Potsdam nach Doorn.

theoretisch feindlich gesinnt, wechselte aber diese Ansicht ebenso schnell 
wie seine Abneigung gegen Dr. Windthorst und das Zentrum. 
Die Billigung der Caprivischen Handelsvertragspolitik durch den Reichs- 
tag erfolgte mit einer selten großen Mehrheit, nur die Konservativen stimm- 
ten dagegen. Das war eine recht einzigartige Rolle für diese Partei, deren 
politisches Schwergewicht in erster Linie durch preußische Adlige gebildet 
wurde. Die Partei der echten und kompromißlosen Monarchisten, die ein- 
zige, wirklich zuverlässige Stütze der verfassungmäßigen Monarchie, lehnte 
die „rettende Tat‘‘ ab. Die anderen Parteien waren auf der Linken offene 
und verkappte Republikaner, in der Mitte und auf der ‚„gemäßigtenRechten‘“ 
Parlamentaristen ; sie wollten einen Kaiser, der herrscht, aber nicht regiert. 
Und diese alle waren des Kaisers Mehrheit! Wilhelm II. war außer sich vor 
Entrüstung über die Stützen des Thrones. 
Der Reichskanzler von Caprivi aber wollte nun ein ganz kluger Staats- 
mann sein und brachte im Preußischen Landtag die sogenannte Schul- 
vorlage ein, einen Gesetzentwurf, der den konfessionellen Gedanken scharf 
in den Vordergrund stellte, den evangelischen und katholischen Geistlichen 
einen stark vermehrten Einfluß gab und jede Vermehrung der konfes- 
sionslosen Schulen verbot. Auch dieses entsprach den Gedanken — ja der 
Anregung des-Kaisers. Wilhelm II. glaubte, ebenso wie durch seine häu- 
figen Reden, durch zahlreiche Kirchenbauten in den großen Städten die zu- 
nehmende Abwendung der Bevölkerung vom Christentum und von der Re- 
ligion überhaupt durch die Konfessionsschule und Vermehrung des geist- 
lichen Einflusses in ihr begegnen zu können, in voller Verkennung der wirk- 
lichen Lage. 
Sobald dieser Gesetzentwurf bekannt wurde, begegnete er, abgesehen vom 
rechten konservativen Flügel und dem Zentrum, allseitigem Widerspruch 
und großer Erregung in der Bevölkerung, sogar innerhalb des preußischen 
Ministeriums selbst. Diese Bewegung, ausnahmsweise war es eine wirkliche 
Bewegung, beschränkte sich nicht auf die Presse; auch die meisten Uni- 
versitäten erhoben Einspruch, in allen Städten gingen Protestlisten um: 
gegen das Schulgesetz! Und da begab sich ein Fall, der sich während der 
ganzen kommenden Regierungszeit des Kaisers als typsich erwies: der Kaiser 
erschrak vor diesen Meinungsäußerungen und benutzte eine Gelegenheit, 
den noch eben vorher in hoher Gnade stehenden preußischen Kultusminister 
so unliebenswürdig anzureden, daß dieser sofort seinen Rücktritt nahm; er 
war ein charaktervoller Mann. Das ‚Schulgesetz‘‘ verschwand in der Ver- 
senkung. 
Es war gut, daß das Schulgesetz zurückgezogen wurde, weil seine Vorlage 
ein schwerer Fehler war. Die eigentliche, die fortwirkende Bedeutung des 
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