Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Vorgangs lag aber darin, daß derselbe Monarch, der sich nicht genug tun 
konnte in der Verkündung: Einer nur sei Herr im Lande, und das sei er!, 
gegen seine eigene Überzeugung, vor dem großen Papiersturm zurückwich 
und denjenigen Minister als den Frevler erscheinen ließ, der seine, des 
Kaisers, und des Kanzlers Vorlage eingebracht hatte. 
Der Kaiser war enttäuscht: eben hatte er geglaubt, durch die große Mehr- 
heit, die der ‚‚rettenden Tat‘‘ Caprivis zur Gesetzeskraft verhalf, einen von 
ihm immer schon ersehnten Gipfel der ersehnten ‚‚Popularität‘‘ erstiegen zu 
haben, da wurde ihm diese Hoffnung wieder zertrümmert durch den Wider- 
stand derjenigen Parteien gegen das Volksschulgesetz, die ihm so brav die 
Handelsverträge bewilligt hatten, aber in demselben Augenblick traf 
sein königlicher Zorn den unschuldigen und persönlich hochstehenden Mi- 
nister. Eine traurige Sache! Wäre das Volksschulgesetz durchgegangen, so 
hätte der Kaiser vielleicht Caprivi zum Fürsten erhoben. Wieder hatte sich 
das Wort Bismarcks verwirklicht: in seinen Gesprächen mit dem Kaiser 
über ein rechtzeitiges Vorgehen gegen die Sozialdemokratie habe er, Bis- 
marck, den Kaiser für kampflustiger gehalten, als er sei. Andererseits hatten 
aber der Kaiser und sein Kanzler mit der Zurückziehung des Schulgesetz- 
entwurfs die Konservativen und das Zentrum vor den Kopf gestoßen. 
* 
Nach seinem Wort: Mein Gewissen zielt auf mich wie mit einer Pistole! 
hatte Bismarck unbeirrbar sein Recht der sachlichen Kritik an der Politik 
des deutschen Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten geübt, 
mit dem Recht auch einer gründlichen Sachkenntnis und Erfahrung und 
unerreichter Erfolge. Nichts konnte den Kaiser mehr erbosen als diese sach- 
lich autoritative Kritik, die Bismarck übrigens niemals auf die kaiserliche 
Person ausdehnte, sondern auf Reichskanzler und Minister beschränkte. 
Wilhelm II. mochte sich erinnern, wie er schon in der Krisenzeit allen, die 
es hören wollten, erklärte: sobald er Bismarck losgeworden sei, werde er 
selbst regieren, und wie er Caprivi ermutigt hatte: er möge nur ruhig sein 
Amt übernehmen: ‚Sie kochen alle mit Wasser, die Verantwortung über- 
nehme Ich selbst.‘ Auch den Rückschauenden überfällt es mit starkem Ein- 
druck, zusehen, was schon während jener zwei bis drei Jahre nach Bismarcks 
Entlassung in der auswärtigen wie in der inneren Politik gefehlt und ge- 
sündigt worden war. Und nun saß noch dazu der Alte in Friedrichsruh und 
wollte weder schweigen noch sterben! Da begab sich folgendes: 
Im Jahre 1892 verheiratete sich der älteste Sohn Bismarcks mit der unga- 
rischen Gräfin Hoyos. Die Hochzeit sollte in Wien stattfinden, natürlich in 
249
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.