Wilhelm II. legte man nahe — sowohl der Großherzog von Baden wie
Prinz Albrecht von Hohenzollern —, er möge bedenken: wenn Bismarck
etwa plötzlich sterben sollte, unversöhnt mit dem Kaiser, so würde das
deutsche Volk das niemals vergessen, es ihm, dem Kaiser, immer nach-
tragen. Der Kaiser dagegen verlangte, Bismarck müsse ihm ‚‚Abbitte
leisten‘. So blieben die Dinge, wie sie waren, bis schließlich der Kaiser
plötzlich eine unerwartete Hilfe erhielt durch schwere Erkrankung Bis-
marcks. Der Augenblick für Wilhelm II. war gekommen, er sandte Bismarck
eine Depesche mit guten Wünschen und bot ihm für seine Wiederherstellung
Aufenthalt auf einem seiner Schlösser an. Bismarck lehnte ab und dankte
für das Anerbieten. Anfang des folgenden Jahres, 1894, schickte der Kaiser
ihm durch einen Flügeladjutanten eine Flasche alten Wein. Bismarck ant-
wortete, er werde sich persönlich bedanken, und zwar in Berlin. Für Kenn-
zeichnung der Geschmacklosigkeit dieses ‚„Geschenkes“ genügt die Er-
wähnung.
Am Tage vor dem Geburtstag des Kaisers kam Bismarck nach Berlin und
wurde vom Kaiser empfangen, von Politik wurde nicht gesprochen ; er zeigte
sich aber mit dem alten Kanzler auf der Straße und umarmte ihn. Am
nächsten Tage schrieb Fürst Hohenlohe nach einer Unterhaltung mit dem
Kaiser in sein Tagebuch: ‚Wir kamen auf den gestrigen Besuch Bismarcks
zu sprechen und die günstigen Folgen, die derselbe auf den Kaiser haben
werde. Ja, sagte der Kaiser, jetzt können sie ihm Ehrenpforten in Wien und
München bauen, ich bin ihm immer eine Pferdelänge voraus. Wenn jetzt die
Presse wieder schimpft, so setzt sie sich und Bismarck ins Unrecht!“
Es handelte sich also keineswegs um eine „Versöhnung“, sondern von
seiten des Kaisers um eine kühle, nicht sehr würdige Aktion seiner per-
sönlich-politischen Taktik, die mit der kaiserlichen Depesche während Bis-
marcks Krankheit aus denselben Motiven .begonnen hatte. ‚Das Volk“
sollte hinters Licht geführt werden, der Kaiser wollte als ein Mann erscheinen,
der er nicht war. Man hat seinerzeit darüber gestritten, weshalb Bismarck
damals nach Berlin gegangen sei, da er doch nicht im Zweifel habe sein
können, daß der Kaiser ihn, den Fürsten, zu irgendeiner Beeinflussung der
deutschen Politik nicht wieder heranziehen werde. Trotzdem erscheint es
als die einzige Erklärung für den Besuch in Berlin, denn Bismarck war,
schon angesichts seines Alters, keineswegs zu einem solchen Akt der Höflich-
keit verpflichtet, nur weil der Kaiser ihm die Depesche gesandt und durch
einen Generaladjutanten eine Flasche Wein hatte überbringen lassen. Bis-
marck seinerseits dürfte, wie er seit langem gewohnt war, wie jeden Vorgang
so auch diesen nur politisch gesehen und gewertet haben. Es bleibt mithin
die Schlußfolgerung übrig, daß er im stillen doch noch für möglich gehalten
252