Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Das von England gewünschte Bündnis konnte das Verhältnis zu Rußland 
nur hoffnungslos verschlechtern und Deutschlands kontinentale Stellung 
noch mehr erschweren. Auf der anderen Seite stellte für Deutschland ein 
solches Bündnis eine Einengung seiner politischen, wahrscheinlich auch 
seiner wirtschaftspolitischen Freiheit dar, sollte mit in erster Linie dazu 
dienen, schon wegen der damals großen englischen Beunruhigung über die 
Ausbreitung des deutschen Außenhandels in Europa und Übersee in Markt- 
gebieten, wo bisher der englische Handel konkurrenzlos dagestanden hatte. 
Schließlich, und das werden wir Deutschen der Jetztzeit, nach den Er- 
fahrungen seit 1938 und 1939, besser würdigen, als es früher geschehen ist, 
sind englische Abmachungen mit anderen Mächten, die unabhängig bleiben 
wollen, angesichts der wechselnden Kabinette und Parlamentsmehrheiten, 
eine höchst unsichere und gefährliche Angelegenheit. 
Die eben skizzierte Periode zeigt einen Charakterzug Wilhelms II., dem 
wir in der Folge bei seinen außenpolitischen Vorgängen und Aktionen immer 
wieder begegnen werden: 
Das Schwanken bei der Inangriffnahme einer außenpolitischen Aktion 
auf kurze oder auf lange Sicht, wie um Mitte der neunziger Jahre in Süd- 
afrika in ganz bewußtem Gegensatz zu der englischen Expansionspolitik. 
Über diese war britischerseits in keinem Augenblick ein Zweifel gelassen 
worden. Unbestreitbar standen auf der anderen Seite die deutschen Inter- 
essen in Südafrika, auf der Basis von Deutsch-Südwestafrika, und will man 
nur von Berechtigung sprechen, so war eine solche auf beiden Seiten oder auf 
keiner Seite vorhanden, je nachdem man den Begriff der Berechtigung im 
Hinblick auf die damaligen Verhältnisse versteht. Unter allen Umständen 
aber war für Deutschland eine solche Politik nur durchführbar, wenn die 
deutsche Regierung von der Überlegung der Machtfrage ausgegangen wäre. 
Diese hat der Kaiser mit seinen Beratern nicht einmal in Betracht gezogen, 
denn: wollte man eine Politik gegen England in Südafrika treiben, so mußte 
man sie auch gegen englischen Einspruch durchführen können. Die Über- 
legung war einfach genug: Großbritannien beherrschte mit seinen Seestreit- 
kräften alle Meere, von der Nordsee bis nach Südafrika uneingeschränkt, 
konnte jeden deutschen Truppentransport ohne weiteres vernichten und 
ohne daß Deutschland irgendwelche Erfolg versprechende Kriegsmittel 
irgendwo in der Welt hätte anwenden können, dazu noch umgeben von zwei 
verbündeten feindlichen Großmächten des europäischen Festlandes. 
Es handelte sich also deutscherseits Mitte der neunziger Jahre um eine 
improvisierte „Politik“, die mit großem Tamtam in die Wege geleitet wurde, 
ungefähr in dem Sinne: wir haben doch ebensoviel Recht wie England in 
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