So hatte es einen ganz anderen Sinn, wenn der Franzose vom Kosmo-
politismus sprach und von ‚Menschheit‘. Er stand dann ausgesprochen
oder unbewußt mit seinen Füßen auf dem Boden seiner Nation, sprach von
ihr aus zur ‚Welt‘, lebte und urteilte in ihrem Geist und Anspruch. Er
mochte noch so laut von ‚Menschheit‘ schwärmen, im Grunde genommen
meinte und fühlte er doch nur Frankreich und die französische Sendung,
„die Menschheit‘ zu einer Frankreich dienenden, französisierten Masse zu
machen. Die Sprecher der Revolution haben niemals diesen Boden verlassen,
und die Haltung des französischen Volkes hat in den Koalitionskriegen das-
selbe durch die Tat erwiesen.
Das Fehlen dieses, des nationalen, Elements im damaligen Deutschland
machte den entscheidenden Unterschied aus, und die ‚„Weltfremdheit‘,
wenn die Deutschen, jedenfalls die meisten Deutschen, von Welt und Welt-
bürgertum sprachen und sich ein Weltbürgertum in die Luft bauten, weil
sie ein Vaterland: Deutschland nicht erlebten. Die Horizonte waren klein
und eng, und das Menschheitsgebäude des deutschen Bürgertums war dem-
gemäß gleichzeitig eng und grenzenlos in naiven Phantasien über Welt und
Menschen. Deutsches Selbstbewußtsein bestand entweder nicht oder versank
in dem bitteren Gefühl des Unterdrücktseins als Mensch und ‚‚Untertan“.
Und hier traf man sich, verhängnisvoll, mit dem Judentum, und dieses
rührte geschickt den empfindlichen Punkt an mit dem Stichwort: Freiheit!
Das war nicht, noch nicht, die deutsche, die nationale Freiheit, sondern die
bürgerliche, durch persönliche Befreiung des Untertanen in seinem Staat
ausdemZustanddeslediglichen Objektszum bürgerlichen politischen Subjekt.
Weitgehend aus diesem Motiv ist die große Rolle des Juden, besonders in
Berlin und in anderen großen Städten Deutschlands, erklärlich, die der Jude
schon lange vor seiner „Emanzipierung‘ in Deutschland und nicht zum
wenigsten in Preußen spielte. Das jüdische Naturell in seiner hemmungs-
losen Auf- und Vordringlichkeit und anspruchsvollen Unverschämtheit im-
ponierte dem Bürger, der, an Unterwürfigkeit gewöhnt, sich mit dem ‚‚Ballen
der Faust in der Tasche‘ abfand und dem charakteristischen Wort: ‚Mit
dem Hut in der Hand kommt man durch das ganze Land.“
Es ist nicht zu vergessen, wie in den Jahrhunderten der Untertänigkeit,
vollends in den kleinen Staaten, die Dienergesinnung anerzogen wurde und
sich durch die Generationen überlieferte und vererbte; nicht zu reden von
der Leibeigenschaft und den Minderwertigkeitskomplexen und Bitterkeiten,
die noch heute bemerkbar sind, auf dem Lande. Es ist im Deutschen, neben
so vielem anderen, eine Eigenschaft, die nur der Nationalsozialismus all-
mählich töten kann, nämlich der Drang einer unpersönlichen Unterordnung
zu einem, man möchte sagen ‚„Marasmus Servilis‘“, verbunden mit jenem
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