So wurde das Deutsche Reich in einer schauerlichen Konsequenz durch
eine unfähige Politik zur gemeinsamen Reibungsfläche für die anderen
Mächte, die unter sich ihre Reibungsflächen beseitigt hatten. Wie war dies
gekommen !
Nach der politischen Niederlage Frankreichs in der Faschoda-Angelegen-
heit 1898 schien die historische französisch-englische Feindschaft wieder in
voller Stärke ausgebrochen zu sein. Frankreich tobte in seiner Presse und in
Reden über die ‚Schmach von Faschoda‘‘ und über das perfide Albion, wie
seit langem nicht. Die Wissenden in der Regierung und in den Kammern
waren freilich erleichtert und beruhigt, daß der Kolonialkonflikt, wenn auch
durch völliges Nachgeben, nicht zum Kriege mit Großbritannien geführt
hatte, denn Frankreich war zur See weder bereit noch überhaupt annähernd
stark genug, um den Kampf mit Großbritannien aufzunehmen. Der Mann,
der als Außenminister dieses für den französischen Nationalstolz so schwere
Nachgeben im Parlament zu vertreten hatte, der Außenminister Delcasse,
aber benutzte die Niederlage zu einer großen politischen Planung, zu einem
vollständigen Frontwechsel der französischen Außenpolitik.
Die Periode der ,‚Marokko-Krisen‘“
Ein damals sehr bekannter französischer Schriftsteller, Vietor Berard,
erzählte 1905: Delcasse habe 1898 bereits, also während der Faschoda-
Krisis, gesagt: „Ich möchte dieses Haus (das Außenministerium) nicht ver-
lassen und von meinem Ministerposten nicht weichen, ohne ein gutes Ein-
vernehmen (la bonne Enntente) mit England hergestellt zu haben.‘ Dieses
Ziel verfolgte der Minister nun stetig und geschickt, unterstützt haupt-
sächlich von dem langjährigen französischen Botschafter in London, Paul
Cambon, dem Bruder des späteren Botschafters in Berlin; nachher auch in
Zusammenarbeit mit Clemenceau, der besonders wichtig war für die per-
sönliche Anknüpfung mit König Eduard von England, dem damaligen
Prinzen von Wales. Das Ziel Delcasses war ein dauernd enges, durch Ab-
kommen geregeltes Einvernehmen mit Großbritannien gegen Deutschland;
am Ende stand für die beiden Mächte die Vernichtung des Bismarck-Reichs,
also der europäische Krieg. Das Bündnis mit Rußland war da, gefehlt hatte
noch die Gewinnung Englands, um Deutschland von der Seeseite zu be-
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