Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Anfang 1%5 schlug die französische Regierung auf eigene Hand dem Sul- 
tan von Marokko eine lange Reihe von Maßnahmen vor, um Ordnung und 
Reformen im Lande zu schaffen, das marokkanische Heer, die Polizei und 
die Zolleinrichtungen unter französischer Führung, eine marokkanische 
Staatsbank mit französischem Gelde einzurichten usw. Im ganzen kam es 
auf die Herstellung eines französischen Protektorates Marokko hinaus. Das 
stand in klarem Gegensatz und Widerspruch zu der Konvention von Madrid. 
Der deutsche Reichskanzler hatte dem französischen Vertreter in Tanger 
wissen lassen: die deutsche Regierung sei über den Inhalt des Marokko- 
Abkommens nicht unterrichtet worden und fühle sich deshalb in nichts ge- 
bunden. Als auch auf diesen Wink hin weder aus Paris noch aus London eine 
Mitteilung erfolgte, fuhr der Deutsche Kaiser auf einem Dampfer, von einem 
Kriegsschiff begleitet, nach der Reede von Tanger. Der Kaiser schreibt 
hierzu in seinen ‚Ereignissen und Gestalten‘: 
Im März 1905 habe er eine Erholungsreise in das Mittelmeer geplant, wie 
im Jahre zuvor, ebenso sollte die Fahrt auf einem Dampfer der Hamburg- 
Amerika-Linie stattfinden und vorher der Hafen von Lissabon angelaufen 
werden. ‚Als der Zeitpunkt der Abreise sich näherte, trat Bülow mit dem 
weiteren Wunsche hervor: ich möchte auch Tanger anlaufen, um durch den 
Besuch des marokkanischen Hafens die Stellung des Sultans den Franzosen 
gegenüber zu stärken. Ich lehnte das ab, weil mir die Marokko-Frage zuviel 
Zündstoff zu enthalten schien, und weil ich fürchtete, daß mein Besuch eher 
schädlich als nützlich wirken müßte. Bülow kam aber immer wieder darauf 
zurück, ohne mich von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit des Be- 
suches überzeugen zu können.‘‘ — Auch der Staatssekretär des Auswärtigen 
Amtes, Freiherr von Schoen, der den Kaiser begleitet habe, sei der Ansicht 
gewesen, daß der Tanger-Besuch besser unterbleibe. Von Lissabon aus teilte 
ich diesen Entschluß dem Kanzler telegraphisch mit. Bülow antwortete mit 
der nachdrücklichen Forderung, daß ich der Meinung des deutschen Volkes 
und des Reichstags, die sich nun einmal für einen solchen Schritt erwärmt 
hätten, Rechnung tragen müsse, es sei notwendig, daß ich nach Tanger 
führe. — ‚‚Schweren Herzens gab ich nach, denn ich befürchtete, daß dieser 
Besuch bei der Lage der Dinge in Paris als Provokation aufgefaßt werden 
könnte und in London die Geneigtheit zur Unterstützung Frankreichs im 
Kriegsfalle bewirken würde.“ 
Man findet in diesen Äußerungen des Kaisers eine auffallende Ähnlichkeit 
mit seiner Erzählung, wie er dazu gekommen bzw. gedrängt worden sei, 
seinerzeit die Krüger-Depesche abzuschicken. 
Im Jahre 1905 wünschte die öffentliche Meinung, soweit sie national war, 
nur einen festen und klaren Kurs, so oder so, aber die Reise des Kaisers und 
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