seine Landung in Tanger lagen ganz außerhalb dieser Betrachtungen. Alssie
zur Tatsache wurde, begann ein allgemeines besorgtes Achselzucken über
das theatralische Gebaren des Kaisers und Kritik gegen Bülow, der solche
Neigungen unterstützte. Und die innerpolitischen Gegner in Deutschland
schrien darüber, daß Wilhelm II. wieder einmal den Weltfrieden gefährde.
Die Stimmung weiter Kreise deutete in einem Gedicht der ‚Kladderadatsch‘“
an mit den Zeilen: ‚Wir waren noch nicht in Tanger, drum fahren wir nach
Tanger!“
Graf Zedlitz, der Hofmarschall des Kaisers, berichtet zur Tanger-Reise des
Kaisers folgende charakteristische Vorgeschichte der Demonstration des
Kaisers in Tanger:
„Der Kaiser äußerte dem Grafen Eulenburg (nicht Fürst Philipp Eulen-
burg) gegenüber, gelegentlich der Vorlegung des Planes für die Mittelmeer-
reise (es handelte sich zunächst um die jährliche Vergnügungsreise), daß er
gern etwas in Marokko sehen würde, und deshalb nahe Tanger an der Küste
entlangfahren wolle. Der Graf Eulenburg fragte nun vorsichtigerweise den
Reichskanzler Grafen Bülow, ob ein ‚Kreuzen‘ dicht an Tanger politische
Bedenken habe. Ich sah selbst, daß Graf Bülow schriftlich antwortete: ‚Nur
ein Vorbeifahren dicht an Tanger habe nach seiner Ansicht kaum Bedenken.‘
— Aus dieser Äußerung ging hervor, daß ihm bereits dieser Plan schon nicht
ganz sympathisch war, und daß er leise abraten wollte. — Nach einigen
Tagen aber sprach Majestät ganz ruhig von einem eventuellen kurzen
‚Landen‘ in Tanger, und nun hatte Graf Bülow doch nicht mehr die Nerven,
um zu erklären, daß dies tatsächlich Schwierigkeiten in der politischen Lage
hervorrufen könnte. — Auf diese Weise entstand der Aufenthalt in Tanger,
und nun versucht man so zu tun, als ob alles wohl durchdacht und im deut-
schen Interesse gelegen habe. Leider wird häufig auf solche Weise Geschichte
gemacht.“
Engere Kreise in Deutschland, in erster Linie der Alldeutsche Verband,
hatten, auf die früheren Erfahrungen gestützt, vor allem die Befürchtung,
daß dem lärmenden und Europa alarmierenden Paukenschlage von Tanger
die weitere Haltung der deutschen Politik nicht entsprechen würde.
In Tanger gelandet, hielt der Kaiser eine Rede an den Oheim des Sultans
von Marokko: Er besuche diesen als unabhängigen Herrscher und hoffe,
daß unter ihm ein freies Marokko dem friedlichen Wettbewerb aller Nationen
offen sein werde. Einer Abordnung der deutschen Kolonie gegenüber be-
tonte Wilhelm II., er wolle den Handel mit Marokko fördern, das sei aber
nur möglich bei Gleichberechtigung aller Mächte, unter einem souveränen
Sultan und bei Unabhängigkeit des Landes.
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