Eindruck von der deutschen Seele geben zu sollen, indem man einen Sänger-
chor ihm — gerade ihm — das Lied vorsingen ließ: ‚In einem kühlen Grunde,
da geht ein Mühlenrad.” Um dieselbe Zeit, Frühjahr 1909, schrieb der bel-
gische Gesandte zu Berlin, Baron Greindl, in einem Bericht an den bel-
gischen Außenminister: ‚Die Verfassung der Gemüter in England erinnert
an die in Frankreich während der Jahre 1866 bis 1870. Damals hielten sich
die Franzosen für berechtigt, Deutschland an der Wiederherstellung seiner
Einheit zu hindern, weil sie darin eine Bedrohung der Vorherrschaft sahen,
die Frankreich bis dahin auf dem Kontinent ausgeübt hatte. Ebenso be-
trachtet man heute in London die Weigerung Deutschlands, sich vertraglich
dazu zu verpflichten, von der Gnade Englands abhängig zu bleiben, als einen
unfreundlichen Akt und als eine Bedrohung des Friedens.‘‘ — Die deutsche
Weigerung betraf die Stellungnahme gegenüber dem persönlichen Verlangen
des Königs, den deutschen Flottenbau einzuschränken.
Der Schlußakt des deutschen Trauerspiels ‚Marokko‘ erfolgte im Jahre
1911. In den vorhergegangenen Jahren hatte Frankreich seine ‚‚friedliche
Durchdringung‘‘ Marokkos planmäßig fortgesetzt, militärisch, politisch und
wirtschaftlich ; der Sultan war nunmehr ganz in französischer Hand und rief,
unter französischer Inspiration, den bewaffneten Widerstand anderer marok-
kanischer Stämme hervor. Die Franzosen erklärten sich für verpflichtet, den
Sultan und seine Hauptstadt Fez zu schützen, und marschierten mit be-
deutender Truppenmacht in die Stadt ein. Diesen Augenblick ergriff der
deutsche Staatssekretär, um endgültig die marokkanische Angelegenheit zu
bereinigen, und erklärte, hiermit sei die Algeciras-Akte erledigt, und damit
habe Deutschland seine Handlungsfreiheit wieder. Auf Betreiben Kiderlen-
Waechters und des neuen Reichskanzlers Bethmann-Hollweg schickte die
Regierung am 1. Juli 1911 das Kanonenboot ‚Panther‘ nach der Reede von
Agadir, an der atlantischen Küste Marokkos, mit der Motivierung: wegen
der dortigen Unruhen müsse man für den Schutz der in jenem Gebiet leben-
den Deutschen sorgen. Es handele sich um keinerlei Akt einer Besitz-
ergreifung.
Kiderlen-Waechter trat, wie es von vornherein seine Absicht gewesen war,
sofort mit dem französischen Botschafter Cambon in Verhandlungen ein,
entschlossen, die Marokko-Frage zwischen Frankreich und Deutschland aus
der Welt zu schaffen, so oder so. Sein Vorschlag war: Deutschland sei bereit,
Marokko als Protektorat an Frankreich zu überlassen, unter der Bedingung,
daß die deutschen Handelsinteressen gewährleistet würden, was wieder eine
von vornherein utopische Annahme war. Als Kompensation verlangte der
Staatssekretär ein großes Gebiet der französischen Kongo-Kolonie. Die
Regierung war bereit, dafür das deutsche Togo in den Kauf zu geben. Der
298