Internationalisierung des Unternehmens nur eine Frage der Zeit sein werde
und damit von Deutschland kommende politische Gefahren mit Sicherheit
ausgeschaltet werden könnten. Kurz vor dem Kriege, als, allen späteren
dokumentarischen Veröffentlichungen zufolge, der Dreiverband den Welt-
krieg beschlossen hatte, wurde das deutsch-englische Bagdad-Abkommen
abgeschlossen. Dieser Akt ist augenscheinlich englischerseits in jenem Augen-
blick nur deshalb vollzogen worden, um das deutsche Vertrauen auf die
Friedlichkeit der englischen Politik zu erhalten.
In der großen Linie gesehen wäre aber, auch wenn man eine längere Dauer
des Friedens damals sich vorstellen wollte, der eine unausgleichbare Gegen-
satz immer auf dem Grunde der Beziehungen geblieben: England, Frank-
reich, Rußland wollten eine schwache, zerrüttete und in geeignetem Augen-
blick irgendwie aufzuteilende Türkei, während der Deutsche Kaiser den
Willen und Wunsch hatte, das Türkische Reich zu erhalten und zu stärken,
um in ihm eine feste-Basis für seine Orientpläne zu schaffen. Es war klar, daß
nur unter der Voraussetzung des Gelingens dieser Stärkung sein großer Bahn-
plan und alles, was er früher oder später an Vorteilen mit sich bringen sollte,
verwirklicht werden könne. Der Kaiser täuschte sich gerade in diesem ent-
scheidenden Punkte: eine Gesundung des damaligen Türkischen
Reichs war nicht möglich. Hier lag einer der entscheidenden Irrtümer
der Bagdadpolitik. Der Kaiser sah die Fata morgana des ausgeführten Planes
vor sich, war außerdem stolz darauf, daß wenigstens dieser Plan als sein
Eigentum erscheine und er wenigstens hier nicht auf Bismarcks Schultern
stehe. Freilich hatte die Geburt des Bagdadbahn-Planes in der Deutschen
Bank stattgefunden, nicht im Kopfe des Kaisers.
Im Sommer 1895 noch lehnte der Kaiser das englische Angebot einer Auf-
teilung des Türkischen Reiches ab, eine Entscheidung von großer Tragweite.
1898 weilte der Kaiser wieder in Konstantinopel, in Palästina und in Da-
maskus, eine Reise, die im ganzen fünf Wochen dauerte, den Monarchen
ebenso lange fern von Deutschland hielt. In Damaskus hielt Wilhelm II. eine
Rede, deren Gipfelpunkt war, daß die dreihundert Millionen mohammeda-
nischer Untertanen des Sultans, die auf der Erde verstreut leben, versichert
sein könnten, daß ‚‚zu allen Zeiten der Deutsche Kaiser ihr Freund sein
wird‘. Wie wenig der Deutsche Kaiser imstande sein konnte, den drei-
hundert Millionen Mohammedanern den Wert seiner Freundschaft zu be-
weisen, zeigten schon der Verlauf der ersten Marokko-Krisis, der Ausgang der
Konferenz von Algeciras und nachher jede neue Marokko-Krisis. Damals,
in Damaskus, wurde das kaiserliche Versprechen von der mohammedani-
schen Welt mit großer gläubiger Freude entgegengenommen, während die
imperialistischen drei Großmächte Europas im Gedanken an die von ihnen
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