Full text: Von Potsdam nach Doorn.

außerdem seine Schroffheiten und gelegentlichen Rücksichtslosigkeiten, 
schwiegen schließlich auch im Interesse des Reichsfriedens. 
Während der Regierung Wilhelms II. wurde in Deutschland, teils mit 
Wohlgefallen, teils mit Mißfallen, hervorgehoben, daß Wilhelm II. nicht 
am Althergebrachten festhalte, sondern ein ‚durchaus moderner“ Kaiser 
sei. Inwiefern das der Fall war, wird noch zu prüfen sein. In einem Punkt, 
und zwar einem sehr wichtigen, war Kaiser Wilhelm II. viel ‚unmoderner‘“ 
als Bismarck und als sein eigener Großvater, nämlich im Punkte eines seiner 
Lieblingsgedanken : der internationalen Solidarität der regierenden Fürsten, 
insonderheit der Herrscher großer Reiche. Dieses Gefühl hat den Kaiser 
durch beinahe die ganze Dauer seiner Regierung hindurch begleitet und ihn 
schließlich noch zu einer sicheren Enttäuschung geführt. Wir sprachen davon 
bereits gelegentllich der Ermordung des österreichischen Thronfolgers. 
Die internationale Solidarität oder Sozietät der Fürsten hat sich lange 
erhalten, sie bildeten sozusagen einen internationalen Stand und eine höchste 
Gesellschaftsklasse. Daran änderte sich nichts, wenn sie Kriege gegen- 
einander führten oder einander hintergingen, ja, vielleicht lag gerade in 
dieser Wechselseitigkeit eine Garantie ihrer Dauer! Als nach der franzö- 
sischen Kriegserklärung 1870 der preußische Botschafter sich in Paris ver- 
abschiedete, sagte ihm der Duc de Gramont: er, der preußische Botschafter, 
scheine zu glauben, daß es ein Abschied für immer sein würde. Davon würde 
nicht die Rede sein: ‚Unsere Souveräne werden ein paar Schlachten mit- 
einander austauschen, und dann wird wieder alles, wie es war!“ 
Daß Wilhelm I. mit ähnlichen Anschauungen geboren war, kann nicht 
wundernehmen, hatte er doch als Mann die ganze Periode der Heiligen 
Allianz durchlebt, und war von dem ihm ebenfalls heiligen Gedanken der 
Legitimität erfüllt. Man versteht seinen schweren innerlichen Konflikt, in 
dem er sich überwand, die Einladung zum Frankfurter Fürstentage (,,30 re- 
gierende Herren und ein König als Kurier!‘) absagte, nachdem ihm Bis- 
marck die realpolitische Notwendigkeit überzeugend dargelegt hatte. Seine 
Vergangenheit, die Kräfte der Überlieferung, der Erziehung, Gewohnheit 
und Pietät verbanden ihn durch tausend Fäden mit dem fürstlichen Ge- 
meinschaftsgedanken. Trotzdem ging er nicht zum Frankfurter Fürstentag 
und machte sich und seinen Ministerpräsidenten damit frei für den Marsch 
zu Preußens Größe und Oberherrschaft in Deutschland und, in der Folge, 
für die Einung der deutschen Staaten zum Deutschen Reiche. 
Wilhelm II. hatte hier innerhalb des Reiches nichts mehr zu überwinden; 
im Gegenteil hatten für ihn die Bundesfürsten die einzige Pflicht: zu 
„parieren‘“, gleichwohl konnte er sie nicht als Unterworfene oder Untertanen 
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