Full text: Von Potsdam nach Doorn.

großen Männern in allen, in großen Ehren. Diese Männer sind aber nicht 
mehr da, die neue Zeit muß jetzt im Zeichen der neuen Kräfte und Entwick- 
lung zum Fortschritt, zur Freiheit, mit Macht Bahn brechen ! Warum ist denn 
das Deutsche Reich so unbeliebt ? In den anderen Staaten Europas wird es 
uns in Reden und Zeitungen jeden Tag gesagt: weil Deutschland reaktionär 
beherrscht und regiert wird, weil das deutsche Volk ohnmächtig ist und von 
Junkern und Industriebaronen regiert und geknechtet wird; weil der Mili- 
tarısmus, zu dem jetzt der Marinismus kommt, die Welt in Angst und 
Schrecken vor den Kriegsgelüsten jener oberen Klassen und Schichten hält. 
Was wird nun der neue Kaiser tun ? Was tut er? 
Der Kaiser aber schwelgte in seinen, leider auch noch geredeten, Träumen 
von dem Glanz seines absoluten Herrschertums in moderner, allein auf 
seiner einzig in der Welt hervorragenden Persönlichkeit beruhenden, noch 
die dagewesenen modernen Gestaltung. Bis zur Schwarzen Woche 1908 hat 
er wohl auch tatsächlich, ungeachtet gelegentlicher Zweifel, sich selbst und 
den Verhältnissen gegenüber, sich mit Erfolg zu suggerieren gesucht: er sei 
in der Tat der große geniale Volksherrscher und habe, trotz Reichstag und 
Landesparlamenten, ‚eigentlich‘ absolute Macht in der Hand und werde im 
Grunde genommen — ausgenommen einige böswillige Nörgler — im ganzen 
deutschen Volke vergöttert. 
Der Weg, den Wilhelm II. beschritt, war seinem Ziel entgegengesetzt. 
Seine rühmenden Hinweise auf seinen Großvater, auf den Großen Kur- 
fürsten, zuweilen auch auf Friedrich den Großen, wurden teils belacht, teils 
mit Mißtrauen verfolgt: warum redet er immer von Vergangenheit und von 
absoluter Fürstenmacht, anstatt von den Forderungen der Gegenwart ! 
Warum — das ist freilich kaum laut ausgesprochen worden — immer diese 
Betonung des majestätischen Herren, zu dessen einsamer Höhe die Unter- 
tanen aufzuschauen und Befehle dankbar entgegenzunehmen haben ? 
Gewiß war das deutsche Volk weit davon entfernt, ‚‚politisch reif‘ zu sein. 
Gewiß hatte Bismarck sich mit seinem hoffnungsvollen Wort, Ende der 
sechziger Jahre, geirrt: „Setzen wir Deutschland in den Sattel, reiten wird 
es schon können!“ Er selbst hat es ja später hypothetisch zugegeben. — 
Etwas anderes aber war, abgesehen von den linken Internationalisten, doch 
gewachsen, teilweise neu entstanden: das vielfach noch unklare Gefühl der 
Zusammengehörigkeit im Reiche, nicht zum wenigsten durch die allgemeine 
militärische Dienstpflicht, den stürmisch anwachsenden Verkehr, das un- 
geheure Ansteigen der Wirtschaft, die ohne Ansehen von Klassen und Par- 
teien die gesamte Bevölkerung ergriffen hatte und die ihre Gemeinsamkeit 
tagtäglich fühlen ließ. Die Grundlage hatte wieder Bismarck gelegt: durch 
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