Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Das „politisch reife Volk“ in Deutschland stieß sich mit listigem Zwinker- 
blick mit dem Ellbogen an, wenn der Kaiser einen amerikanischen Milliardär, 
einen französischen Jachtbesitzer oder irgendeinen anderen ‚‚distinguierten“ 
Ausländer empfing: Das versteht er, unser Kaiser: wichtige Persönlich- 
keiten des Auslandes einzuwickeln! Ihn bewundert ja auch die ganze Welt! 
Vor dem groben Bismarck hatte das Ausland nur Angst und Abscheu. Dies 
aber ist nun moderne Politik und Diplomatie, so muß man die Leute ein- 
wickeln! In dem ‚modernen‘ deutschen Byzanz behauptete man: es gäbe 
kein Volk, das uns nicht um unseren Kaiser beneide, einen ungeheuren Re- 
spekt habe man vor ihm. Zum Beweise pflegte angeführt zu werden: in 
Frankreich spreche man von Wilhelm II. niemals anders als „Le Kaiser‘‘, 
und in England und den Vereinigten Staaten sage man nicht ‚The German 
Emperor“, sondern ‚The Kaiser“ ; man sähe in ihm also eine einzigartig 
große Herrscher-Persönlichkeit und die glänzendste Verkörperung deutschen 
Kaisertums. Wer damals zu solchen Äußerungen bemerkte: man sage auch 
immer: der Zar, der Sultan, der Negus, und keineswegs, um die betreffenden 
Persönlichkeiten als hervorragend und einzig zu bezeichnen, sondern um 
ihre einheimischen Titel zu nennen, der galt als Nörgler. 
In den ersten Jahren seiner Regierung hielt man den Kaiser in Frankreich 
für eine in der Tat hervorragende Persönlichkeit, für ein politisches und 
militärisches Genie, einen gefährlichen Mann. Nachdem man aber begriffen 
hatte, daß dies glücklicherweise ein trügender Schein sei, änderte sich die 
Haltung der Franzosen vollkommen: Furcht und Besorgnis verschwanden, 
aber man benutzte gern das Bewunderungsbedürfnis des Kaisers und nicht 
minder sein je nach seiner Augenblicksstimmung ebenso ausgiebiges wie 
unvorsichtiges Mitteilungsbedürfnis und amüsierte sich über beides. Die ein- 
schlägige deutsche Presse aber: seht, wie das französische Nachbarvolk un- 
seren Kaiser bewundert, ja, den möchten sie wohl für sich haben! Dieselbe 
Presse brachte von den Wiedergaben der französischen Presse über die 
Unterhaltungen mit dem Kaiser nur die Sätze des Lobes der sogenannten 
Bewunderung; die boshaften und mokanten Beibemerkungen wurden fort- 
gelassen. Der deutsche Zeitungsleser erhielt also ein unrichtiges, aber mit 
Überlegung gefälschtes Bild. Der Kaiser aber war glücklich, und der ‚‚po- 
litisch reife‘‘ Michel auch. Mit welchen Mitteln das Ausland auf diesem Ge- 
biet arbeitete, zeigt ein drastisches Beispiel: 
Ein Literat, namens Grand Carteret, hatte ein Buch verfaßt unter dem 
Titel: Lui (Er) mit Text und zahlreichen Karikaturen über den Deutschen 
Kaiser. Grand Carteret richtete einen ‚‚offenen Brief‘ an den Kaiser: dieser 
möge ihm doch den Vertrieb seines Buches in Deutschland gestatten; also 
ein glänzendes Geldgeschäft und ein indirektes aussichtsreiches politisches 
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