zweifle, ob wir Deutschen im Falle eines Krieges überhaupt nicht das Recht
hätten, Gott um den Sieg zu bitten, ihm denselben im Gebet abzuringen, wie
Jakob im Kampf mit dem Engelboten. Die Japaner seien eine Gottesgeißel,
wie Napoleon und Attila; von Napoleon pflegte der Kaiser sonst als dem
„Korsischen Parvenu‘ zu sprechen. Man braucht kaum zu sagen, daß eine
Rede, wie diese, in Rußland wie in Japan wieder Ärgernis erregte, in Deutsch-
land belacht wurde und wieder gutes Propagandamaterial für Sozialdemo-
kratie und Demokratie abgab, von aufrichtigen, dabei einsichtigen Monar-
chisten beklagt wurde, wie tagtäglich so vieles andere. — Zwölf Tage später
sagte der Kaiser in Bremen: die Deutschen seien das Salz der Erde und
müßten sich als dessen würdig erweisen.
Nicht selten verfiel Wilhelm II. ganz in alttestamentarischen Ton. Als
1900 das deutsche Expeditionskorps nach Ostasien fuhr, hielt der Kaiser auf
der ‚Hohenzollern‘ seine gewohnte Sonntagspredigt. Er verglich den Kampf
des deutschen Expeditionskorps gegen die Chinesen mit dem Kampf der
Kinder Israel gegen die Amalekiter. Der Text seiner Predigt war die Stelle
aus dem II. Buch Mosis: ‚‚So lange Moses seine betenden Hände emporhielt,
siegte Israel; wenn er aber seine Hände niederließ, so siegte Amalek.‘‘ Die
Chinesen waren Amalek, Israel die Deutschen. Der Kaiser und die Heimat
sollten sich im Gebet vereinigen, wie Moses und seine Helfer.
In pathetischen Tönen führte der Kaiser diesen Gedanken in einer langen
Predigt aus, und ließ sie nachher in vollem Wortlaut veröffentlichen. Kopf-
schütteln war in bestem Falle Antwort und Urteil der Bevölkerung in
Deutschland.
Vor solchen Auslassungen stand man wieder mit der Frage: was an ihnen
nun echt sei und was nicht. Zweifelsohne hatte sich die Phantasie WilhelmsII.
einige Zeit stark mit der ostasiatischen Expedition beschäftigt, er erblickte
in jener Stelle des II. Buch Mosis einen religiösen Vergleichsgegenstand, sie
schien ihm für eine Predigt höchst geeignet, und so fühlte er sich mit der ihm
eigenen Geschwindigkeit in die Rolle des Moses ein, und ließ sich von seinem
selbstkonstruierten Eindruck rednerisch fortreißen, im Augenblick viel-
leicht echt. Zugleich war seine Predigt aber eine beabsichtigte Schaustellung,
und durch diese glaubte er, in der Attitüde als Kaiser und Hohepriester zu-
gleich auf das deutsche Volk in christlichem Sinne wirken zu können. Er hat
mit solchen Versuchen stets, wenn überhaupt, religiös negativ gewirkt, auch
durch den Widerspruch, den der jederzeit befehlsmäßige Ton erweckte, wenn
er auf Religion zu sprechen kam.
Mit am schlimmsten war vielleicht, daß der Kaiser durch seine demon-
strative Haltung nach der anderen Seite zur religiösen und kirchlichen
Heuchelei entscheidend beitrug. Als König von Preußen war er der Oberste
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