Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Bischof, der Summus Episcopus, der Evangelischen Kirche. Dieser Stellung 
wollte er Kraft und Leben wieder einhauchen, und zwar nicht nur über ihren 
bisherigen Kreis, sondern auch über ihre eigentlichen Grenzen hinaus, auf 
den Bereich aller evangelischen Christen Deutschlands; und damit nicht 
genug, als Schützer und Förderer des gesamten Christentums in Deutsch- 
land, einschließlich der Christen des katholischen Bekenntnisses. 
Dieser Gedanke ist, jedenfalls zu einem sehr bedeutenden Teil, die Ur- 
sache für seine Stellung gegenüber der Katholischen Kirche, und im be- 
sonderen auch zum Papst Leo XIII.; darüber wird nachher noch einiges zu 
sagen sein. Hier brauchen wir nur festzustellen, daß Wilhelm II. sich als der 
oberste Repräsentant des Christentums in Deutschland fühlte, ebenfalls als 
Schützer und, in Reden und Briefen bisweilen, als Entwickler der evan- 
gelisch-christlichen Lehre; eine Rolle, die ihm besonders gefiel. 
Sein Wollen war auch in diesem Punkte rein und ehrlich, und sein Instinkt, 
daß eine Entwicklung in den Formen der christlichen Lehre notwendig sei, 
um sie lebendig zu halten, war an sich richtig. Hier begegnete Wilhelm II. 
dem resoluten und absoluten Widerstande der Orthodoxie, die nicht allein 
im maßgebenden Teil der Geistlichen, sondern ebenso durchweg in den 
Schichten vorhanden und unerschütterlich war, aus denen sich der auf- 
richtige Teil der Hofgesellschaft rekrutierte. Geistliche, die die Orthodoxie 
sozusagen aufzulockern versuchten, wurden streng gemaßregelt, der Begriff 
der ‚‚liberalen Pastoren‘‘ entstand und wurde, oft sehr unverdientermaßen, 
auf das politische Gebiet übertragen, in dem Geistliche, die zur Bezeichnung 
ihrer Gegnerschaft zur Orthodoxie ‚liberal‘ genannt wurden, fälschlich als 
auch politisch liberal galten. So wurde viel Bitterkeit und Verwirrung der 
Begriffe geschaffen und nichts erreicht. Alles in allem vertiefte sich die Kluft 
zwischen den dem Christentum Angehörigen und den vielen Millionen Deut- 
schen, die Kirche und Christentum schon entfremdet waren, durch den Ton 
der Autorität, den der Kaiser auch als Summus Episcopus, seinem Wesen 
und seinem Prinzip nach, nicht unterlassen konnte. Die Zeiten des Befehls 
aber waren auch hier vorbei, längst vorbei. Es gibt keinen größeren Fehler, 
als zu befehlen, wenn von vornherein feststeht, daß der Befehl unter allen 
Umständen erfolglos bleiben wird. Erfolg konnte aber nur die auf allen 
Lebensgebieten nach autoritärer Majestät und Nimbus trachtende Phan- 
tasie des Kaisers träumen. In früheren Zeiten vermochte die Kirche erfolg- 
reich mit jenseitigen Strafen zu drohen, auch diese Zeiten waren im wesent- 
lichen vorbei, jedenfalls für die Deutschen, die der Evangelischen Kirche an- 
gehörten. Auch konnte der königliche Summus Episcopus seinerseits nicht 
mit Strafen in einem Bereiche drohen, der ihm schlechterdings und glück- 
lıcherweise nicht unterstand. 
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