erhaltung gleichzusetzen. Ähnliches Verfahren wurde auch von Arbeit-
gebern und Gutsherrschaften geübt, ausnahmslos mit entgegengesetztem
Ergebnis. Für die Religion, welcher Art auch immer, hat es nie Schlimmeres
gegeben, als ihre Vermischung mit irgendwelchen, ihr im Grunde genommen
fremden Elementen, mochte es nun mit politischen Zielen und Praktiken
sein oder durch Verfälschung sozialer Fragen, oder durch Anstreben welt-
licher Autorität. Schon der Schatten eines derartigen Verdachts bewirkt das
Gegenteil des Angestrebten.
Der Kaiser und König drang auch hier nicht in das Wesen und die Ur-
sachen der religiösen bzw. antireligiösen Frage ein. Er begriff nicht, wie
anders, wenn überhaupt, gearbeitet werden könne und deswegen müsse.
Schon im Winter 1890 sagte der Einunddreißigjährige in einer Schulreform-
Konferenz in der Schlußrede auf einen Einwand, daß man und daß der
Kaiser nicht eingangs von Religion gesprochen habe: ‚Meine Herren! Ich
war der Ansicht, daß Meine Ideen und Gedanken über Religion, das heißt
über das Verhältnis eines jeden Menschen zu Gott — welche sie sind und wie
heilig und hoch sie Mir sind, so sonnenklar vor aller Blicken daliegen, daß
jedermann sie im Volke kännte.‘‘ — Das war nach noch nicht zweijähriger
Regierung! Selbstverständlich werde er religiöses Gefühl und christlichen
Geist in der Schule pflegen lassen. Dieses Wort wurde von Geistlichen und
Lehrern aufgegriffen, und in einer Weise verwirklicht, daß auch hier nicht
genutzt, sondern nur geschadet wurde. Späterhin hat sich der Kaiser, nach
seiner Art, nicht tiefer um die Sache gekümmert. Wenn er sich aber einmal
dazu äußerte, so war es immer, wie auch die angeführten Beispiele schon
zeigen, der Ton des Befehls, des Vorgesetzten schlechthin. Man begriff im
Laufe der Jahre auch nicht, welchen Standpunkt der Summus Episcopus
eigentlich zur religiösen Lehre selbst einnahm. In seiner ‚Seepredigt“ sprach
er in Bildern der Cromwellschen englischen Puritaner, in einem Briefe an
Admiral Hollmann mit starken deistischen Beimischungen, dann wieder
stellte er Christus ganz in die Mitte seiner religiösen Anschauung. Was sollte
der gläubige Christ, der seinem Obersten Bischof vielleicht gern folgen
wollte, nun damit anfangen, wonach sich richten ? Sprach der Kaiser Öffent-
lich über religiöse Dinge, so stellte, nolens volens, er seine Reden zur Öffent-
lichen Diskussion. Wurde er über den Widerhall unterrichtet, so fühlte er
sich verletzt oder mißverstanden; hielt man ihn in Unkenntnis, so täuschte
er sich gern, und in einem Falle, wie im anderen war er trotz allem über-
zeugt, eine große, entscheidende und heilsame Wirkung auszuüben. So.lebte
er auch auf diesem Gebiet in dem Traum und Wahn, im deutschen Volk als
Autorität zu gelten, es religiös zu führen und zu fördern.
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