Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Schon als Prinz gab Wilhelm II. mit steigender Absichtlichkeit der Mei- 
nung Ausdruck, daß der sogenannte Kulturkampf ein schwerer und un- 
endlich bedauerlicher Fehler Bismarcks gewesen sei. So schrieb er: ‚Galim- 
berti hat mir in allem ausnehmend gefallen, und was er sagte, hat guten Ein- 
druck gemacht... . Ich bin unendlich froh, daß dieser unselige Kulturkampf 
zu Ende ist. Letzthin sind mehrere hervorragende Katholiken, wie Kopp 
(der spätere Kardinal. D. V.) und andere, mehrmals zu mir gekommen, und 
haben mich mit einem rückhaltlosen Vertrauen beehrt, das mir wohltat. 
Mehrmals hatte ich auch das Glück, mich zum Dolmetscher ihrer Wünsche 
zu machen und ihnen einen Gefallen zu tun, so daß es auch meinen beschei- 
denen Kräften vergönnt war, an diesem Friedenswerk mitzuwirken. Das 
bereitete mir aufrichtig Freude, und ich bin glücklich.“ 
Die Regung des damaligen Prinzen und ebenso des nachherigen Kaisers: 
Versöhnung zu schaffen und die alte ‚Kulturkampfstimmung‘ im katho- 
lischen Teil des deutschen Volks zum Verschwinden zu bringen, war mensch- 
lich durchaus begreiflich, und wäre auch sonst gerechtfertigt gewesen, wenn 
der Kaiser daneben anerkannt und berücksichtigt hätte, daß der Kultur- 
kampf für Bismarck lediglich ein politischer Kampf gewesen war. Auch 
später aber hat der Kaiser nicht gewußt oder nicht zugeben wollen, daß die 
römische Kurie den Kampf begann, nicht der deutsche Kanzler. Weshalb 
Bismarck sein ursprüngliches Ziel nicht erreicht hatte, begründete sich 
wesentlich darin, daß die von Parteigeist beherrschte deutsche Bevölkerung 
seinen Kampf nicht wollte, nicht reif dazu war und den Kanzler im Stich 
ließ, und daß besonders auch an den deutschen Fürstenhöfen, einschließlich 
des preußischen, sich die Stimmung steigend gegen den Kanzler wandte. 
Bismarcks Kampf an sich war richtig und notwendig, gegen Religion und 
gegen die Bekenntnisse war er nie gerichtet. Ob er und sein Minister Falk in 
einzelnen Gesetzen Fehler gemacht haben, ist eine Frage, die ohne weiteres 
nicht beantwortet werden könnte, auch nicht wesentlich für die Beurteilung 
des Kulturkampfs als Ganzes ist. 
Wohl aber zeigt die seitdem verflossene Zeit, daß der Kanzler auch in 
dieser großen Frage seiner Zeit weit voraus war. Er sah auf den Grund, die 
anderen sahen nur die Oberfläche. Ihm war die Gefahr des politischen Katho- 
lizismus klar. Nach 1890 verfiel diese bis 1933 einer wachsenden Ver- 
dunkelung. 
Withelm II. hat sich über die Ursprünge, die Anlässe und den politischen 
Verlauf des Kulturkampfes niemals eingehend unterrichtet, obgleich gerade 
ihm alle Quellen offenstanden, vor allem durch Bismarck selbst. Sonst hätte 
später wenigstens der Kaiser wissen müssen, daß es zwischen dem politischen 
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