Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Katholizismus und dem Deutschen Reich eine aufrichtige Verständigung 
und Zielübereinstimmung von Grund aus nie geben konnte. Die Neuschöp- 
fung des Deutschen Reichs mit einer überwiegend nichtkatholischen Be- 
völkerung und einem evangelischen Herrscherhaus war und blieb für die 
Kurie ein vernichtenswertes Gebilde. Man hat während der Regierungszeit 
des Kaisers eingeworfen, auf alle Fälle sei für die politische Zusammenarbeit 
im Reichstage sehr die so versöhnliche Haltung des Kaisers .nützlich ge- 
wesen. Dagegen braucht nur erinnert zu werden, daß sogar unter Bismarck 
im Jahre 1879 das Zentrum in dem rein wirtschaftspolitischen Übergang 
Bismarcks vom Freihandel zum Schutzzoll mit dem Kanzler zusammen- 
arbeitete. 
Kaiser Wilhelm Il. ist dreimal in Rom gewesen, und jedesmal in größerem 
Stil und mit lauterer Begeisterung empfangen worden. Als er zum dritten 
Male in Rom zum Besuch Leos XIII. einzog — so schrieb ein zeitgenös- 
sischer Schriftsteller: „da drängen sich in überschwenglicher Begeisterung 
Pilger und Nonnen, Priester und Mönche in den Vordergrund der Be- 
grüßenden, die Loyalität und Ergebenheit zu bekunden, und von den Lippen 
eines in der Menge verschwindenden Geistlichen ertönte der Ausruf: ‚Heil 
Karl dem Großen!‘‘ Und dieser Ruf wird aufgenommen: ‚Da sahen die 
Römer‘, so schrieb ein klerikales Blatt, ‚einen Karl den Großen wieder 
heranziehen zu Peterskirche und Vatikan, hinantreten zum Papst, ihn be- 
grüßen, der würdevolle Imperator den würdigen Pontifex, der Herrscher 
über Katholiken den Herrscher der Katholiken.‘ Da wurde erzählt, wie der 
Imperator die glanzvollen Veranstaltungen des Besuches eigens inszeniert 
hatte, ‚um den Wünschen seiner Katholiken in würdiger und voller Weise 
gerecht zu werden, daß also der Akt der Höflichkeit oder des persönlichen 
Bedürfnisses ein weit berechneter politischer Akt gewesen sei, bestimmt, das 
evangelische Kaisertum als Bittgänger des Pontifikates hinzustellen‘“. Und 
andere Organe des Klerus erzählten geflissentlich, wie der Kaiser sich tief 
herabgebeugt habe auf die Hände des Papstes. Der Kaiser wurde psycho- 
logisch richtig in Rom empfangen, nıan kannte seine Eindrucksfähigkeit und 
benutzte sie der traditionellen Virtuosität in derartigen Feierlichkeiten. ‚Es 
war ein ergreifendes Bild, als Kaiser Wilhelm dem Heiligen Vater entgegen- 
eilte und aufs herzlichste seine beiden Hände ergriff und küßte.‘‘... „Vor 
der Phantasie der Gläubigen des Zentrums‘, so schrieb Dr. Paul Liman, 
„sollte wieder der Steigbügel Barbarossas und das härene Gewand des 
Büßers von Canossa erscheinen. In ihnen sollte der Stolz aufflammen über 
den Wandel der Zeit, die dem Felsen Petri neuen währenden Glanz gebracht. 
In jenen Tagen wurde Graf Waldersee nach Fiesole gesandt, den Jesuiten- 
general zu begrüßen, und von den Lippen des vierten Kanzlers floß die 
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