sondern zu begrüßen. Wie verständnislos er der deutschen Wirtschaft im
Grunde genommen gegenüberstand, bewies die mit Caprivi beginnende frei-
händlerische Zollgesetzgebung. Als die notleidende Landwirtschaft sich
dann mit allen Mitteln gegen ihren Zusammenbruch wehrte, nahm der
Kaiser dies schwer übel und faßte es als Untreue und Ungehorsam auf. Der
Zauber der ‚Modernität‘‘, des Reichwerdens, des ‚Tempos‘“, vor allem der
Bewegung des Welthandels, umfing den Kaiser lockend und blendend, und
mit großer Verlockung, nicht zum wenigsten deshalb, weil der Titel des mo-
dernen Kaisers ihm eine besonders begehrenswerte Glorie erschien. Sein
Wort: ‚Die Welt steht im Zeichen des Verkehrs‘‘, wurde von der deutschen
Presse in die Öffentlichkeit hinausposaunt, wie eine vom Kaiser gemachte
neue ungeheure Entdeckung, wie ein Bahnbrechen. Für das ‚Zeichen des
Verkehrs‘ hat Wilhelm II. nichts Besonderes getan, als höchstens sich neuen
Möglichkeiten und Forderungen des Verkehrs nicht verschlossen. Man mag
sagen, die parlamentarischen Schranken der Verfassung hätten seinen Vor-
wärtsdrang gehemmt, so in der Frage des sogenannten Mittellandkanals.
Wenn sein Wille wirklich so kraftvoll gewesen wäre, so würde er trotz der
Verfassung sein Ziel erreicht haben, aber die Hindernisse waren es eben, vor
denen sein Tatendrang im Inneren wie nach außen haltmachte, sobald nicht
auf den ersten Anlauf hin alles gelang, was niemals der Fall gewesen ist.
Der Bevölkerung wurde nach wie vor nach Kräften eingebildet, daß der
Kaiser höchste Verehrung verdiene, weil er seinen ungestümen Tatendrang
ganz in den Dienst der Erhaltung des Friedens stelle und seinen kriegerischen
Ehrgeiz und sein soldatisches Genie nur mit Mühe bezwinge. Unermeßlich
hoch sei ihm anzurechnen, daß er auf Kriegsruhm verzichte, dessen Lor-
beeren einer Persönlichkeit wie seiner so leicht und so gewiß erreichbar
wären, wenn er nur wolle. Die Schilderung der kaiserlichen Außenpolitik
beweist, daß Wilhelm II. einer solchen innerlichen Überwindung in keiner
Weise bedurfte, sondern in jedem Falle einer Krisis, die zum Kriege führen
konnte, sofort alles tat, um durch Nachgeben die Gefahr zu beseitigen. Es
sei ferne, die Friedensliebe und Friedenspolitik des Kaisers zu tadeln. Im
Gegenteil: das damalige Deutsche Reich konnte, wie oft gesagt worden ist,
durch einen Krieg wenig gewinnen und alles verlieren. Ein Unterschied aber
ist für die Beurteilung der Persönlichkeit und ihres Wirkens, ob der Kaiser
seinen kriegerischen Tatendrang besiegen mußte, um Frieden zu halten, oder
ob er überhaupt die Eigenschaften und Kräfte nicht besaß, die ihn zur
Führung eines Krieges befähigt hätten.
Ein sehr großer Teil der Bevölkerung sah nur die Erhaltung des Friedens,
las, wie der Kaiser dafür gepriesen wurde, wußte nichts von den Ursprüngen
der prahlend heraufbeschworenen Krisen, nichts von der Reihe der außen-
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