Full text: Von Potsdam nach Doorn.

politischen Mißerfolge, nichts von der unaufhörlichen Minderung des deut- 
schen Ansehens und der wachsenden Gefährdung der deutschen Stellung in 
Europa. Der Kaiser erschien als der starke und entschlossene Hüter des 
Friedens, vor dessen Stirnrunzeln kriegslustige Feinde sich erbleichend zu- 
rückzogen. Die nationalen Kritiker und Warner, meist zusammengefaßt 
unter dem Namen: die Alldeutschen! oder als Panzerplatten-Patrioten und 
Chauvinisten bezeichnet, wurden getadelt und verhöhnt und, mit Unter- 
stützung der Regierung, als kriegslustig, als Kriegshetzer angeprangert; 
immerhin vermochten sich auch weitere nationale Kreise dem Gefühl der 
Beunruhigung nicht zu entziehen. Vom Hof und den obersten militärischen 
und zivilen Behörden gingen strenge Weisungen aus, Schwarzsehertum 
strenge zu rügen, und vor allem jede ‚‚Nörgelei‘. In Kasinos, in Klubs und 
Gesellschaften wurde jeder als Sozialdemokrat bezeichnet, der abfällige 
Kritik an der Führung des Reichs und Besorgnis für dessen Zukunft äußerte. 
Der Bürger schauderte' vor Empörung! Worte des Kaisers, wie: Schwarz- 
seher, Nörgler hatten in denselben Bürgerkreisen eine gewisse Popularität 
erreicht, wurden in heiligem Zorn nachgesprochen, denn Optimismus war 
das Bequemste. Warum sich in der Ruhe stören und auf unangenehme Dinge 
hinweisen lassen ? Ging doch alles vortrefflich, Industrie, Handel, wie noch 
nie! Und schließlich: man war doch nicht verantwortlich für Deutschland, 
sondern das waren die da oben, der Kaiser, die Regierung, der Reichstag, 
wo die politisch reifen Erwählten des politisch reifen Volkes, sei es maßvoll, 
sei es „leidenschaftlich‘‘, denen ‚‚da oben die Wahrheit sagten‘. 
Zu dem allen kam jener alte Dünkel: 1870/71 hatte man gesiegt. Sieg sei 
für die Zukunft auch sicher, ja, selbstverständlich. Die anderen Nationen 
würden sich hüten, sie alle seien dekadent, ihr Militär tauge nichts, sie seien 
sittlich verrottet. Außerdem: wozu überhaupt Krieg, niemand wolle Krieg, 
alle wollten nur Geschäfte machen: das weiß auch unser Kaiser!! Als die 
Einkreisung vor dem Kriege in der Hauptsache fertig war, hatte der Ver- 
fasser dieser Schrift eine Unterhaltung mit einem Staatssekretär des Aus- 
wärtigen Amtes. Auf besorgtes Fragen erwiderte er: die anderen Mächte 
Europas dächten nicht an Krieg, sie hätten nur eine riesige Angst, von 
Deutschland angegriffen zu werden. Zum Schluß sagte dieser hohe Beamte: 
‚Wenn die anderen nur wüßten, wie harmlos wir sind!“ — ‚Die anderen“ 
wußten das leider sehr gründlich, wie es um die deutsche Harmlosigkeit 
stand, vor allem um die Harmlosigkeit der Wilhelmstraße. 
Der frühere deutsche Kronprinz erzählt in einer seiner Schriften, wie er 
nach einem Besuche in Rumänien, um das Jahr 1913, sich mit dem damalıgen 
Staatssekretär von Kiderlen-Waechter unterhielt und ihm sagte: nach seinen 
Beobachtungen hätte Deutschland in Rumänien nur einen zuverlässigen 
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