Im Jahre 1906/07 reichte, wie schon vorher sehr oft, der Geheimrat
von Holstein sein Abschiedsgesuch ein, mit der alten Absicht in solchen
Fällen, es abgelehnt wieder zurückzuerhalten. Es wurde jedoch bewilligt,
weil der Staatssekretär von Tschirschky es auf dem Dienstwege weitergab,
anstatt es zunächst aufzuhalten. Holstein war außer sich vor Wut, suchte
nach demjenigen, der ihn gestürzt hätte, und verfiel auf Eulenburg ; warum,
ist nie geklärt worden. Der eigentliche Urheber soll, im Hintergrunde, Bülow
gewesen sein, der dann, in genauer Kenntnis des C'harakters von Holsteins,
dessen Intrigen, Haß und Rachsucht von sich ablenken wollte, auch be-
absichtigte — und die Absicht ausführte —, sich Holsteins Erfahrung und
Rates nach dessen Rücktritt außerdienstlich mit Nutzen zu bedienen. Hol-
stein ging sofort mit einem beleidigenden Brief zum Angriff auf Eulenburg
vor. Dieser ließ ihn fordern. Eulenburg versicherte in Vergleichsverhand-
lungen der Kartellträger ehrenwörtlich, er habe in keiner Weise mit der
Sache etwas zu tun gehabt, worauf Holstein die beleidigenden Ausdrücke,
nicht aber die Behauptung zurücknahm: Eulenburg habe an seiner Ent-
lassung mitgewirkt. Eulenburg wußte jedoch aus alter Kenntnis Holsteins,
daß dieser ihm nun den heimlichen Krieg erklärt hatte. Es ließ nicht lange
auf sıch warten.
Zunächst wurde zu allgemeinem Erstaunen Öffentlich bekannt, daß Hol-
stein sich mit der Zeitschrift ‚Die Zukunft‘‘ des Maximilian Harden in Ver-
bindung gesetzt hatte, von dem er noch vor kurzem angegriffen worden war.
Jetzt mit einem Male schrieb er selbst einen Brief auf den Angriff hin, den
Harden mit einer persönlichen Einleitung veröffentlichte. Nicht lange darauf
begann Harden, zunächst leise, dann immer lauter und beschimpfender an-
deutend, in Form der Enthüllung zu erzählen, unter der Leitung des Fürsten
Eulenburg sei der Kaiser in einen Kreis ‚Die Liebenberger Tafelrunde“
(Liebenberg war der Name des Gutes des Fürsten Eulenburg) eingesponnen.
Diese Tafelrunde bestehe aus weichlichen, süßlichen Halbmännern, die auf
den Kaiser in schädlichster und verderblichster Weise in seinen Anschau-
ungen und Handlungen einwirkten und durch ihre Intrigen die eigentlichen
Regierer des Deutschen Reiches seien. Der ganze Kreis sei homosexuell ver-
anlagt. Das sei Privatsache, aber Eulenburg sei der intime Freund des
Kaisers, und auch politisch von größtem Einfluß auf ihn. Dem deutschen
Volke könne nicht zugemutet werden, von solchen Menschen regiert zu
werden.
Nachdem eine Serie solcher Aufsätze erschienen war, folgten Beleidigungs-
prozesse, auf deren Einzelheiten einzugehen nicht nötig ist. Harden, im
Hintergrunde Holstein, hatte sie durch seine Angriffe provoziert, in erster
Linie von seiten Eulenburgs. Über die erste und für die ganze Aktion maß-
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