sei erwähnt, um zu zeigen, mit welcher Leichtfertigkeit verfahren wurde —
behauptete: Bismarck habe gesagt, Eulenburg sei ein Kinäde. Als dieser
Zeuge privatim erfuhr, daß dieses Wort nicht einen Kyniker, sondern einen
aktiven Homosexuellen bedeute, wollte er es zurücknehmen, wurde aber mit
Meineidsklage bedroht und schwieg. — Hätte Bismarck solche Vermutungen
gehabt, so würde Eulenburg sicher nicht viele Jahre in seinem Hause ver-
kehrt haben.
Kaum nötig ist zu sagen, mit welcher Freude und welchem Erfolge die
antimonarchischen Kreise und die politischen Parteien den Fall Eulenburg
ausnutzten im Sinne des Schlagwortes: So also sieht es bei denen da oben
aus! Hier habe man den untrüglichen Beweis von der Verrottung und
Entartung der oberen Schichten und hauptsächlich des Adels. Und eine
solche Gesellschaft sei Jahrzehnte hindurch die des Kaisers gewesen!
Im letzten Augenblick habe dann mit Mannesmut der jüdische Heraus-
geber der Zeitschrift ‚Die Zukunft‘ das Vaterland noch vom Abgrunde
zurückgerissen.
Es war ein Sieg des Judentums. Harden war der Held, und die Wirkung
seiner auf Zersetzung des Kaiserreichs gerichteten Arbeit wurde stärkerdenn
je zuvor, und damit auch die Zuversicht und Überhebung der Juden
Deutschlands. Entsprechend sank das Ansehen des Kaisers. und des Kaiser-
tums. Die sogenannten konservativen Juden und die ‚großen‘ Juden
rückten zum Teil mit moralischer Entrüstung von Harden ab, besonders von
seinen Mitteln, teils auch, weil er sie bei Gelegenheit mit Hohn und Ent-
hüllungen verfolgt hatte, aber im Grunde genommen war allen Juden ohne
weiteres alles willkommen, was geeignet war, die nichtdiskontierbaren natio-
nalen Werte herabzusetzen, womöglich zu zerstören. Denn das lag im Sinne
jenes Etwas, das den Juden und ihren politischen Zöglingen das große
Zauberwort des neunzehnten Jahrhunderts, ‚Fortschritt‘, bedeutete.
In keiner Weise hatte der Eulenburg-Prozeß bewiesen, daß tatsächlich ein
Homosexuellentum am Hofe und in militärischen Kreisen eine Macht ge-
wesen sei, wohl aber hat jener Prozeß den Beweis geführt, daß ein hoch-
gradiges persönliches und politisches Intrigantentum in den engeren und
weiteren Kreisen des Hofes und in den Reichsämtern herrschte, vor allem im
Bereiche des Reichskanzlers, des Auswärtigen Amtes und anderer Zentral-
stellen.
Einige Jahre später wurde über diese Dinge in kleinem Kreise gesprochen,
in Verbindung mit dem Thema, daß Tirpitz der Mann sei, der die Außen-
politik des Reiches führen müsse. Tirpitz erwiderte: um solchen Auftrag an-
zunehmen, würde freilich unbedingt notwendig sein, daß Wochen vorher der
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