Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Was tat der Kaiser in diesem Stadium des Zusammenbruchs ? Nichts! 
Während einer Besprechung im Kaiserlichen Hauptquartier wurde über 
eine der ersten Noten Wilsons und deren Beantwortung mit verschiedenen 
Reichsstellen beraten. Der bayerische Bevollmächtigte im Bundesrat, Graf 
Lerchenfeld, machte im Laufe der Besprechung auf ‚gefährliche Strö- 
mungen im Reich‘ aufmerksam, ‚die eine besondere Spitze gegen den 
Kaiser angenommen‘ hätten. Der Kaiser unterbrach ihn: er wisse dieses, 
und er wisse auch, daß manche seine Abdankung forderten, ein Nachfolger 
Friedrichs des Großen aber danke nicht ab. 
Im Reich begann damals, sehr spät, ein Teil der monarchisch Gesinnten 
zu begreifen: wie weit es war und worum es ging. In einer größeren Kund- 
gebung nationaler Verbände wurde die Entschließung gefaßt: ‚Wir wollen 
es nicht dulden, daß man den Hohenzollernstaat zertrümmert. Der Kaiser 
aber sage, daß er uns nicht verlassen wird. Er verwaltet Bis- 
marcks Erbe!“ 
Die Worte trafen den Punkt, aber sie konnten keine Macht mehr aus- 
üben. Es war zu spät. 
Ähnliche Kundgebungen wurden damals in größerer Menge veranstaltet, 
aber bei ,‚Kundgebungen“ blieb es. Macht stand nicht hinter ihnen, Führung 
marschierte nicht an ihrer Spitze, Verbindung mit dem Kaiser bestand nicht, 
ist auch von seiten des Kaisers stets abgewiesen worden, obgleich sehr leicht 
gewesen wäre, so einen Machtmittelpunkt zu bilden und der inneren Lage 
ein anderes Gesicht zu geben. Die monarchischen Parteien, in erster Linie 
die konservative, gingen über Bezeugungen ihres Unwillens in ihrer Presse 
nicht hinaus, rühmten die Verdienste des Hohenzollernhauses und den 
Kaiser, ermahnten die Linksparteien, treu zum Reiche zu halten — waren 
andererseits zu legal erzogen und zu gewöhnt, nur Befehlen zu gehorchen, 
als daß ihnen auch nur der Gedanke gekommen wäre, politisch aktiv auf 
eigene Hand vorzugehen, während die Linke offen auf den Umsturz losging. 
Zudem lebte die politische Rechte auch in jenen letzten Wochen noch in 
der alten Illusion, das deutsche Volk in seiner Gesamtheit sei „eigentlich 
monarchisch bis auf die Knochen‘. Alles in allem: man tat nichts. Die 
Schildhalter der Monarchie hatten vor dem Kriege an Warnungen nicht 
geglaubt, die eigentliche Lage nicht erkannt, nichts getan und sahen den 
Abgrund erst gegen Ende des Krieges, als Monarch und Monarchie nur des 
letzten Stoßes bedurften, um hineinzustürzen. 
Das galt vor allem für den Kaiser selbst. Seine Umgebung, die er sich 
selbst geschaffen hatte und deren Zusammensetzung er so gewollt hatte, war 
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