seien sämtlich unzuverlässig, aufrührerische Massen seien unterwegs nach
Spa, zuverlässige Truppen gäbe es überhaupt nicht mehr. Der Kronprinz,
der mit seinem Stabschef, General Graf Schulenburg, der Beratung bei-
wohnte, schreibt in seinen 1922 erschienenen „Erinnerungen“:
„Auch an die Front — etwa um zu kämpfen und zu sterben — dürfe mein
Vater nicht, da dieser Schritt die Entente angesichts des bevorstehenden
Waffenstillstandes möglicherweise zu falschen Folgerungen veranlassen
könnte, die dann nur größeres Unheil und Blutvergießen zur Folge haben
würden.‘ In Deutschland sei alles in Händen der Arbeiter- und Soldatenräte.
Auf die Frage des Kronprinzen, ob der Kaiser König von Preußen bleiben
werde, erklärte dieser seinem Sohn: ‚Natürlich!‘ Der Kronprinz schreibt
hierzu noch: ‚‚Auch die Notwendigkeit, daß er unter allen Umständen bei
dem Heere bleibe, betonte ich, und regte an, daß er mit zu meiner Heeres-
gruppe kommen und mit ihr, an ihrer Spitze, in die Heimat zurückmarschie-
ren möge.“
In der nun folgenden Besprechung mit den Generalen und anderen Front-
offizieren berichtete der Oberst Haye, daß er, von Groener mit einer Um-
frage betraut, den Kommandeuren die Frage vorgelegt habe: ob für den
Fall eines Bürgerkrieges in der Heimat auf die Truppen gerechnet werden
könne. — Die Frage sei verneint, die Sicherheit von einzelnen der Herren
nicht unbedingt verbürgt worden. Hier warf der General Graf Schulenburg
ein: vor der Frage, den Fahneneid zu brechen, und seinen Obersten Kriegs-
herrn zu verlassen, würde sich das Heer in seiner Masse sicher als kaisertreu
erweisen. ‚Aber dazu zuckte der General Groener nur mit den Schultern und
zog die Oberlippe überlegen bedauernd hoch: „Fahneneid ? Kriegsherr ?
Das sind schließlich Worte — das ist am Ende bloß eine Idee.‘‘ — Der Kron-
prinz setzt hinzu: ‚Zwei Welten standen da einander gegenüber, zwei Auf-
fassungen, zwischen denen keine Brücke war, und kein Verstehen möglich
blieb.‘
In diese Unterhaltung hinein kam der Staatssekretär mit der Meldung aus
Berlin: der Reichskanzler Prinz Max habe soeben telephoniert: die Lage in
Berlin sei äußerst bedrohlich, und daß die Monarchie nicht mehr zu retten
wäre, wenn der Kaiser nicht sofort sich zur Abdankung entschlösse.
„Der Kaiser nahm die Nachricht mit tiefem, schweigendem Ernst ent-
gegen, farblos die festgeschlossenen Lippen in dem graugelb gewordenen und
wie um Jahre gealterten Gesicht. Nur wer ihn kannte, wie ich, konnte er-
messen, was er trotz dieses mühsam aufrechtgehaltenen Bildes der Fassung
und Haltung unter der brüsk und ungeduldig dringenden Forderung des
Kanzlers litt.
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