Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Anlagen im Rücken des Heeres bereits bemächtigt. Ich hätte zwar an der 
Spitze treuer, aus der Kampffront gezogener Truppen die Rückkehr er- 
zwingen können. Aber damit wäre der Zusammenbruch Deutschlands be- 
siegelt gewesen, denn zum Kampf mit dem zweifellos nachdrängenden 
Feinde wäre noch der Bürgerkrieg getreten. Wieder andere meinen: der 
Kaiser hätte sich selbst den Tod geben sollen. — Das war schon durch meinen 
festen christlichen Standpunkt ausgeschlossen. Und würde man dann nicht 
gesagt haben: wie feige! Jetzt entzieht er sich aller Verantwortung durch 
den Selbstmord. Dieser Weg schied auch deshalb aus, weil ich darauf bedacht 
sein mußte, in der vorauszusehenden schweren Zeit meinem Volk und Land 
zu helfen und zu nützen. Gerade in der Aufhellung der Schuldfrage, die sich 
mehr und mehr als der Kernpunkt unseres künftigen Geschicks enthüllte, 
wußte ich mich besonders berufen, die Sache meines Volkes zu vertreten. 
Denn mehr wie jeder andere kann ich Zeugnis ablegen von Deutschlands 
Friedenswillen und von unserem reinen Gewissen. 
Nach unendlich schweren Seelenkämpfen habe ich auf dringendstes An- 
raten meiner zur Zeit anwesenden verantwortlichen Ratgeber den Entschluß 
gefaßt, außer Landes zu gehen, weil ich auf Grund der mir gemachten Mel- 
dungen glauben mußte, dadurch Deutschland am treuesten zu dienen, ihm 
günstigere Waffenstillstands- und Friedensbedingungen zu ermöglichen und 
ihm weitere Menschenverluste, den Bürgerkrieg, Not und Elend zu ersparen.‘‘ 
An den Kronprinzen, seinen Sohn, hatte Wilhelm II. alseinzigen Grund 
für das Verlassen seines Heeres und seinen Übertritt nach Holland an- 
gegeben, daß der Feldmarschall ihm seine Sicherheit nicht mehr habe ge- 
währleisten können. Andere Gründe und Überlegungen hat der Kaiser in 
diesem, letztem, Brief nicht einmal angedeutet. Hätte er damals solche er- 
wogen, bevor er seine Entscheidung traf, so würde er sie jedenfallsdem Kron- 
prinzen mitgeteilt haben, weil dieser und der General Graf Schulenburg, wie 
der Kaiser wußte, für richtig und Erfolg versprechend gehalten hatten, daß 
der Kaiser mit den treu gebliebenen Truppen nach Deutschland zurückkehre. 
Die Gründe, die der Kaiser drei Jahre später in seinem Buch entwickelt 
hat, sind ihm in dem Augenblick, da er sich zum Verlassen Deutschlands 
endgültig entschlossen hatte und anschickte, nicht bewußt gewesen und 
können ihn deshalb auch nicht zum Übertritt auf holländischen Boden be- 
wogen haben. Auch die unmittelbare Vorgeschichte der Abreise des Kaisers 
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