Full text: Von Potsdam nach Doorn.

wie Bismarck nachher den föderativen Charakter des neuen Deutschen 
Reichs mit so großer Sorgfalt pflegte und damit die Reichstreue der Bundes- 
fürsten und ihrer Bevölkerungen festigte. Zum mindesten während der 
ersten Hälfte der Regierungszeit Wilhelms II. ließen genügend Anzeichen 
darauf schließen, daß dieser Stand der Dinge sich wenig geändert habe. Ohne 
Ausnahme zeigte sich jedesmal bei Brüskierungen von Bundesfürsten durch 
Wilhelm II., daß die Bevölkerung sehr ausgesprochen bei ihren Landes- 
fürsten stand. Diese ‚„angestammten‘ Dynastien wurden allgemein in 
Deutschland, ohne daß man wohl viel darüber nachdachte, als eine selbst- 
verständliche, während mancher Jahrhunderte gewachsene Einrichtung be- 
trachtet, als Urgestein, das aus dem Erdboden des Königreichs oder Fürsten- 
tums hervorragte. 
Wie war es möglich, daß mit dem 9. November 1918 das alles weg- 
geblasen war, daß die deutschen Bundesfürsten, ohne eine einzige Aus- 
nahme, widerstandslos abtraten, für sich und ihre Häuser verzichteten, sich 
mit Abfindungen und Besitztiteln bedenken ließen ? Das bekannte Ab- 
schiedswort des Königs von Sachsen: ‚Macht euren Dreck alleene!‘, war in 
seiner unentwegbaren. bürgerköniglichen Wurstigkeit vergleichsweise schon 
beinahe eine heroische Haltung. Als der König später auf der Durchfahrt am 
Dresdener Bahnhof hielt, sammelte sich dort eine große Menge, die seinen 
Namen rief und ‚Hoch‘ schrie. Der König musterte die ‚Hoch‘-Rufenden 
lächelnd und sagte nur: ‚Ihr seid mir scheene Republikaner.‘‘ Auch dafür 
hatte diese Menge den gleichen heiteren Beifall. 
„Wären’s Könige gewesen, sie stünden noch alle unversehrt!“ 
Will man sich vorstellen, der Friede wäre 1914 erhalten geblieben, so 
würden bei fortschreitender allgemeiner Demokratisierung, Parteiherrschaft 
und Geldherrschaft wahrscheinlich die Fürsten als Etiketts erhalten ge- 
blieben sein, ohne Zweifel auch versucht haben, je nach der regierenden Per- 
sönlichkeit, sich irgendwie nützlich zu machen, gelegentlich zu repräsen- 
tieren oder aber ganz ins bürgerliche Milieu zu tauchen. 
Ein Vergleich mit den Bürgerkönigen von heute wäre nicht zulässig. 
Denkt man an die Könige der skandinavischen Staaten und Belgiens, an die 
Königin von Holland, so ist die Stellung aller dieser Herrscher — immer 
wieder einzuschalten : je nach der Persönlichkeit — eine in sich, nach außen 
und im Inneren des Landes, bedeutende und wichtige. Die deutschen Bun- 
19 Reventlow: Von Potsdam nach Doorn 481
	        
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