Full text: Von Potsdam nach Doorn.

und hinterlassen hatte, und daß der Kaiser vom ersten Jahre, ja, vom ersten 
Augenblick nach der Entlassung des unbequemen Mannes — den er mit 
seinen vertrauten Kreisen den „bösen alten Mann‘ nannte — diese Erb- 
schaft zu vergeuden begonnen hat, kraft seiner eigenen Leichtfertigkeit und 
Unfähigkeit und der seiner von ihm berufenen Ratgeber. Auch läßt sich 
nicht an der Tatsache rütteln: Bismarck hat das Hohenzollern-Kaiserreich 
geschaffen und ausgebaut, Bismarck hat die Hohenzollern-Monarchie, die 
dem Zerfall entgegenging, wieder aufgerichtet, fundamentiert und mächtiger 
gemacht als je im neunzehnten Jahrhundert. Wilhelm II. hat beides zu- 
grunde gerichtet und damit auch sich selbst. 
Der nicht seltene Einwand: seit 1888 sei die Lage Deutschlands viel 
schwerer und schwieriger geworden als vorher und Bismarck habe einen 
Fehler nach dem anderen gemacht, ist als Verteidigung oder Rechtfertigung 
der Unfähigkeit Wilhelms II. recht belanglos: schwierig ist die Politik des 
neuen Reiches schon wenige Jahre nach dem siegreichen Kriege 1870/71 ge- 
worden, das lag in der Natur der Dinge. Ein mächtiges, wehrkräftiges und 
wirtschaftlich gedeihendes Deutsches Reich da, wo vorher nichts vorhanden 
gewesen war, wurde den Großmächten automatisch zunehmend unbequem. 
Damit hat Bismarck immer gerechnet, deshalb schuf er sein großes, starkes, 
elastisches und bewegliches Bündnissystem, und deshalb trieb er eine bei 
aller ihrer Festigkeit und überlegten Kühnheit äußerst sorgfältig durch- 
dachte Politik, deren Hauptsorge darauf gerichtet war, so den europäischen 
Frieden zu erhalten, nicht durch Rückzieher und Nachgiebigkeit, wie Wil- 
helm II. Nicht mit großen Worten, noch nach plötzlichen Einfällen und 
ebenso plötzlichem Umschlagen nach der ‚timideren Seite“ 
Es kann eingeworfen werden und ist eingeworfen worden : selbst der größte 
Staatsmann begehe politische Fehler, so habe auch Bismarck im Kultur- 
kampf nicht gesiegt, dieser sei überhaupt ein Fehler gewesen usw. Unsere 
Stellung dazu ist dargelegt worden, aber hier handelt es sich um die Be- 
rechtigung jenes Einwurfs prinzipiell. Es wäre zu erwidern: nicht darauf 
kommt es an, ob unter dem Kaiser oder durch den Kaiser dieser oder jener 
mehr oder minder schwere und folgenreiche politische oder wirtschafts- 
politische Fehler begangen worden ist, überhaupt nicht auf Einzelfälle, son- 
dern auf das Gesamtergebnis, und dessen Prüfung ist nicht allzu schwierig: 
Kaiser Wilhelm II. hat von 1888 bis 1918 regiert. Rechnen wir die vier 
Kriegsjahre ab, so bleiben sechsundzwanzig Jahre, und bei weiterer Ab- 
rechnung der beiden Jahre vor Bismarcks Entlassung: vierundzwanzig 
Regierungsjahre im Frieden. Teilt man diese Zeit in Perioden von, sagen 
wir, je vier Jahren ein, so ist, von 1890 an gerechnet, keine einzige fest- 
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