die deutschen Staaten, alle souverän, viele untereinander eifersüchtig oder
von Haß erfüllt. Einen einzigen Punkt vielleicht gab es, in dem man einiger-
maßen einig war, auch einschließlich des kleinen und großen Bürgertums —
soweit dieses überhaupt politische Interessen hatte. Diesen gemeinsamen
Punkt bildeten der Rheinstrom und die Rheinlande. Sonst aber taumelte
der schwache und unklare nationale Wille, von jeweiligen Gefühlsimpulsen
getrieben, hin und her — und der niemals entwickelte, noch geführte
politischeSinnder Deutschen, im ganzen gesprochen, betätigtesichsenti-
mental, blind und ziellos. .
Von allen diesen Motiven war auf dem Hambacher Fest etwas vorhanden:
unter Glockengeläute nahm die Feier ihren Anfang, und der gewaltige Zug
ging den Berg zur Schloßruine hinauf. Schon seine Anordnung gab ein Bild
von der Stimmung: die Spitze bildete eine Abteilung Bürgergarde, natürlich
mit Musik. Unmittelbar dahinter folgte ein Fahnenträger mit weißroter
Schärpe, der die — polnische — Fahne trug. Es folgten die Festordner mit
der schwarzrotgoldenen Fahne, diese mit der Inschrift: „Deutschlands
Wiedergeburt‘. Es schlossen sich an: Deputationen aus den süddeutschen
Staaten, aus dem Rheinland und Westfalen, aus Sachsen, Hannover und
Koburg.
Auf dem Berge wurde die polnische Fahne gehißt, darüber auf der
Burgruine die deutsche Fahne.
Fürst Metternich hatte schon kurz vor dem Hambacher Fest geäußert:
„Das Hambacher Fest müsse gut benutzt werden, dann könne es ein freu-
diges werden.‘‘ In seinem Sinne wurde es auch ein sehr freudiges:
Im Sinne der damaligen Zeit gesprochen, waren die Forderungen der
Sprecher jenes liberalen Bürgertums revolutionär: auf die deutsche Einheit
gerichtet. Man wollte in allen deutschen Staaten, kaum anders als die Stu-
denten von 1817, repräsentativeVerfassungen. Endziel: daseinigeDeutsch-
land, unter einem Kaiser oder unter einem Präsidium, auf alle Fälle mit
einem Parlament. Aller fürstliche Absolutismus, alles patriarchalische
Regiment habe zu verschwinden. Das alles war nichts Neues.
Ein bedenklicher Ton aber kam in das Ganze hinein, als führende Männer
— sonst klug und verdienstvoll und durchaus gute Deutsche — erklärten:
Deutschland hoffe, daß — wie 1789 — auch jetzt wieder die Freiheit von
Frankreich kommen werde. Es war eben zwei Jahre nach der französischen
Julirevolution, mit der man die republikanische Bewegung in Frankreich
nicht als abgeschlossen ansah.
Die ganze politische Naivität dieser Männer zeigte sich im Zusatz zu ihrem
Wunsch, die Freiheit möge wieder von Frankreich kommen: Freilich erwarte
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