Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Legitimität und Altar in höchster Gefahr sich befanden. Minister und Mon- 
archen traten zusammen und wurden sich dahin einig, daß man eine Er- 
weiterung des Verfassungslebens in den Staaten Deutschlands nicht ge- 
statten dürfe, weil sonst die Gefahr für Ruhe und Ordnung zu groß werden 
müsse. Hier stand der russische Zar Nikolaus I. mit seiner überragenden 
Autorität, auch in Preußen, energisch an der Spitze. Die von Friedrich Wil- 
helm III. nach den Freiheitskriegen versprochene Verfassung für Preußen 
unterblieb weiter. Auch sein Sohn, Friedrich Wilhelm IV., ließ den Zustand, 
wie er war, und ließ die Erbitterung in der Bevölkerung weiterschwelen, 
in gutem Glauben. 
Nun setzten neue Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von „Ruhe und 
Ordnung‘ ein. Wieder wie nach dem Wartburgfest richteten sie sich in 
erster Linie gegen die Hochschulen, dann gegen die Presse und gegen öffent- 
liche Veranstaltungen. 
In Frankfurt wurde die Zentral-Untersuchungs-Kommission gebildet; 
außerdem erhielten alle Landgerichte den Befehl, Untersuchungen anzustel- 
len. Tausende von älteren und jüngeren Burschenschaftern wurden gericht- 
lichen Verfahren unterworfen.- Geführt wurden die Untersuchungen nach 
dem Grundsatz, die Angeklagten abzuurteilen: ‚nicht nach dem, was sie 
getan, sondern was sie gewollt hätten“. — So war es leicht, den harmlosen 
und unerfahrenen jungen Leuten die zu ihrer Verurteilung erforderlichen 
Schlingen zu legen, denn der Spruch sollte jedesmal auf Hochverrat lauten. 
In Berlin z. B. wurden von reichlich zweihundert Untersuchungsgefange- 
nen vier zu ‚„verschärfter‘‘ Todesstrafe verurteilt, fünfunddreißig zu ‚,‚ein- 
facher“ Todesstrafe. Der König von Preußen milderte diesen wütenden 
Wahnsinn wenigstens dahin, daß die Todesstrafe in lebenslängliche bzw. 
dreißigjährige Gefängnishaft geändert wurde. Erst König Friedrich Wil- 
helm IV. hob nach seiner Thronbesteigung auch diese Strafen auf. Zu den 
zum Tode Verurteilten gehörte auch der unglückliche Fritz Reuter, der 
weder etwas getan noch etwas gewollt hatte, was mit Hochverrat auch nur 
das geringste zu tun hatte. Hätte Friedrich Wilhelm III. noch zehn Jahre 
länger gelebt und die verurteilten jungen Leute in ihren Gefängnissen ge- 
lassen, so würde das Leben von vielen hunderten vaterländisch begeisterten 
jungen Deutschen vernichtet worden sein. 
Auch wenn man vcn diesen furchtbaren persönlichen Terrorakten ganz 
absieht und auf der anderen Seite ebenso von den gewiß nicht angemessenen 
Reden auf der Wartburg und am Hambacher Schloß und von dem provo- 
zierten Frankfurter Putsch und in diesen Fällen die Torheit und Unange- 
messenheit ohne weiteres zugibt und mißbilligt, so lagen Schuld und Unrecht 
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