Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Am 21. März ritt der König mit schwarzrotgoldener Schärpe durch die 
Stadt, mit Ministern, Offizieren, Bürgern und ‚Volk“. 
Den Rat für diese, gerade in jenem Augenblick sonderbare, Demonstration 
hatte ihm der Ministerpräsident, Graf Arnim, gegeben, um so die Auf- 
merksamkeit von den anderen unangenehmen Dingen abzuwenden. 
In Wirklichkeit war es ein Satyrspiel wider Willen: der tief entwürdigte 
König von Preußen erklärte — in dem Augenblick, da er in seinem eigenen 
Preußen, auch formal, die Führung vollständig verloren hatte —, er habe 
sich zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Gesamtvaterlandes ge- 
stellt, und ließ sich zu diesem Theaterzug durch Berlin mit den schwarzrot- 
goldenen Schärpen und Fahnen mißbrauchen! Zugleich und nachher aber 
ließ er erklären, er denke gleichwohl nicht daran, die deutschen Fürsten 
irgendwie zu beeinträchtigen, er wolle auch nicht Kaiser werden! 
Über Friedrich Wilhelms Schwäche konnte sich nicht einmal in Preußen 
jemand mehr täuschen, denn nirgends hatte er sie so vollständig offenbaren 
müssen wie in Berlin. Wer konnte seinen im Augenblick ehrlich gemeinten 
Worten glauben, daß er, aus seiner tiefen Erniedrigung und Gebrochenheit 
heraus, plötzlich die deutsche Bewegung als Führer an ihr Ziel: die deutsche 
Einigkeit und Einheit, würde bringen können! Während er gleichzeitig ver- 
sicherte, er wolle nicht nur nicht Kaiser werden, sondern er wolle auch kei- 
nem der deutschen Fürsten in deren souveränen Rechten etwas nehmen! 
Bismarcks Urteil ist, daß Friedrich Wilhelm — hätte er die nötige 
Entschlußkraft besessen — gerade während der Märzrevolution eine gün- 
stige Gelegenheit hatte, um die deutsche Einheitsaktion in die Hand zu neh- 
men: „In den Tagen zwischen den süddeutschen Revolutionen, einschließ- 
lich der Wiener und dem 18. März — solange es vor Augenlag, daß von allen 
deutschen Staaten, Österreich einbegriffen, Preußen der einzig feststehende 
geblieben war —, waren die deutschen Fürsten bereit, nach Berlin zu kom- 
men und Schutz zu suchen unter Bedingungen, die in unitarischer Richtung 
über das hinausgingen, was heute (durch Bismarck: also in Gestalt des 
Zweiten Reiches) verwirklicht ist; auch das bayrische Selbstbewußtsein war 
erschüttert.‘ 
Damals wären die deutschen Fürsten also bereit gewesen, für die deutsche 
Einheit unter Preußens Führung Opfer zu bringen. ‚Diese Auffassung ent- 
sprach den tatsächlichen Verhältnissen; das militärische Preußen war stark 
und intakt genug, um die revolutionäre Welle zum Stehen zu bringen und 
den übrigen deutschen Staaten für Gesetz und Ordnung in Zukunft Garan- 
tien zu bieten, die den anderen Dynastien als annehmbar erschienen.‘‘ Am 
19. März morgens sei noch nichts verloren gewesen. ‚Der Aufstand war 
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