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Sache untersuchte und einen Bericht erstattete. Man konnte
seitdem die bisherige Ordnung (oder Unordnung) der Dinge
als grundsätzlich aufgegeben betrachten. Als Crispi zur
Regierung kam, ernannte er eine neue Kommission, welche
die Grundsätze der ersteren weiter ausarbeitete und auf ein
System lossteuerte, welches die Unzucht ungefähr in gleicher
Weise überwacht, wie andere Laster, z. B. Spiel und
Trunkenheit. Mit einer in Italien sonst nicht üblichen
Raschheit wurde das neue Reglement schon 1888 angenommen.
Die Einschreibungen und regelmäßigen Untersuchungen sind
durch dasselbe abgeschafft, die Bordelle leider nicht; doch ist
die Freiheit ihrer Bewohnerinnen, sie zu verlassen, aner—
kannt, — auf dem Papier nämlich. In Wirklichkeit ist
nichts besser und das neue Reglement niemals ernsthaft in
Anwendung gebracht worden; denn seine Einführung wurde
in die Hände seiner eifrigsten Gegner gelegt! Es ist wieder
alles wie früher!
4. Schweiz.
Die Schweiz hat infolge ihrer Zusammensetzung aus
halbsouveränen Kantonen und der Unabhängigkeit dieser
Bundesglieder in inneren Angelegenheiten keine gemeinsamen
sittenpolizeilichen Prinzipien annehmen können. Im Allge-
meinen ist das Schweizervolk einer Reglementierung der Pro-
stitution durchaus abgeneigt, und eine solche hat nur im
Kanton Genf, der unter Napoleon I. zu Frankreich gehörte,
Fuß gefaßt, aber auch hier nicht völlig nach französischem
Muster.
Im Jahre 1877 führte der Durchbruch einer neuen
Straße durch ein übelberüchtigtes Quartier in Genf die
Niederlegung von vier Bordellen herbei, die sich nun andere
Schlupfwinkel suchen mußten. Wo sie aber anklopften,