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vorsichtigkeit, sie gehen zu lassen, ohne sich darüber zu be—
unruhigen, was aus ihr werden würde, und sie quartierte
sich in einem Stellenvermittelungs-Bureau zu Brüssel ein,
um einen anderen Platz zu suchen. Anfangs ging alles gut,
denn sie besaß noch etwas Geld; als dies jedoch ausgegeben
war, ohne daß sich inzwischen ein Unterkommen gefunden
hätte, begann sie wegen der Zukunft zu fürchten. Die Vor-
steherin des Bureau beruhigte sie indessen: Sie habe volles
Vertrauen zu ihr und werde ihr Kredit geben 2c. Als die
Schulden des Mädchens sich auf einige sechszig Francs ge-
steigert hatten, änderte die Direktrice den Ton: „Ob denn
das so fortgehen solle; sie sei nicht in der Lage, derartige
sie die Schuldnerin der Polizei als Vagabondin ohne Unter-
halt denunzieren"“. Das arme Kind war aufs Außerste er-
schrocken. Des Abends führte ihr die Vorsteherin eine Dame
zu: „Was Sie für Glück haben! Diese Dame aus Gent
braucht eine Kammerzofe für ihre Kinder!“ — Kurz, das
Mädchen reist ahnungslos mit der „Dame“, einer Bordell-
wirtin, ab — der Rest ist Schweigen. Später sah der Bericht-
erstatter dieses Mädchen, körperlich und moralisch durch das
Laster verwüstet. Als sie ihre traurige Geschichte erzählte,
antwortete sie auf seine Frage, weshalb sie denn nicht von
dem Orte, an den man sie gebracht habe, zu entkommen
versucht habe, als sie seinen Charakter erkannte: „Mir gingen
erst am andern Morgen die Augen auf, als es zu spät war,
— ich war der Vermittlerin sechszig Francs schuldig, und
man hätte mich ins Gefängnis gesteckt.“ Ein Kommentar
ist überflüssig, aber wir sind überzeugt, daß man ohne üÜber-
treibung sagen kann, die meisten Vermittelungs-Bureaux sind
in erster Linie Agenturen des Kupplertums, und wenn sie
wirklich einmal einem Mädchen eine anständige Stellung ver-
schaffen, so geschieht das nur, weil sie gerade nichts anderes
mit ihr anzufangen wußten.“