Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

100 Zweiter Abschnitt. (8. 24.) 
gebiete der Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden ist ihnen unter 
den gleichen Voraussetzungen wie den juristischen Personen auch eine Teilnahme an den 
städtischen Wahlen eingeräumt.1 
II. Die Organe der Stadtgemeinden. 
A. Die Stadtverordnetenversammlung. 
.. 24. 
1) Der rechtliche Charakter der Stadtverordnetenversammlung und die Rechts- 
stellung ihrer Mitglieder." 
I. Die Stadtverordnetenversammlung 3, welche heute in allen Städten" an die 
Stelle der aus allen stimmberechtigten Bürgern bestehenden Gemeindeversammlung ge- 
treten ist, repräsentiert durch ihre Beschlüsse den Willen der Bürgerschaft. Sie ist ein 
Organ der städtischen Verwaltung, welches durch Gesetz berufen ist, selbständig und kraft 
eigenen Rechts an Stelle der Bürgerschaft in Gemeindeangelegenheiten Beschlüsse zu 
fassen; sie gehört somit zu den politischen Körperschaften I, und kann als solche beleidigt 
werden.7 
Gleichzeitig sind ihr aber weitgehende Kontrollbefugnisse über die Verwaltung 
  
1 §. 8, Abs. 1 cit. der vorigen Anmerkung, 
deren Ausführungen hier analog anzuwenden 
sind. « 
2 Vgl. zum Folgenden überhaupt: L. Ebert, 
Der Stadtverordnete im Geltungsbereiche der 
St. O. v. 30. Mai 1853 (Berlin 1866). Blodig, 
Selbstverwaltung, S. 150 ff.; speziell zu diesem 
#§.: Leidig, S. 69 u. 99 ff.; v. Möller, St., 
#§#. 27, 28; Steffenhagen, S#. 41, 52; 
Schmitz, §. 19. 
Sie heißt in der Provinz Hannover: 
Bürgervorsteherkollegium; im vormaligen Kurfür- 
stentum Hessen: Gemeindeausschuß; in Nassau, 
Hohenzollern-Hechingen und -Sigma- 
ringen: Bürgerausschuß; in Neuvorpom- 
mern und Rügen: Bürgerschaftliches Kol- 
legium. 
4 In den hohenzollernschen Gebiets- 
teilen tritt die Bürgerversammlung noch in 
einigen Fällen in Funktion, so befonders in 
Hechingen, wenn die Aufsichtsbehörde es ver- 
langt, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen 
Stadtrat und Bürgerausschuß, auf Antrag eines 
der städtischen Kollegien oder einer der Mit- 
gliederzahl beider Kollegien zusammen gleich- 
kommenden Zahl von Bürgern behufs Beratung 
von Petitionen an den Landesherrn oder an die 
vorgesetzten Behörden, und endlich auf schrift- 
lichen Antrag einer ebenso großen Zahl von 
Bürgern beim Regierungspräsidenten, um Be- 
schwerden über die städtische Verwaltung vor- 
zubringen. Die G. Ordugn. für Kurhessen, 
für Nassau und Sigmaringen, sehen für 
die Landgemeinden die Beibehaltung der 
Gemeindeversammlung vor. 
5 Die Stadtverordnetenversammlung ist nicht 
schlechthin eine Vertretung der Bürger- 
schaft, welche unter den Rechtsgrundsätzen über 
Stellvertretung, Vollmacht oder Mandat steht. 
  
Eine solche ist überhaupt rechtlich nicht kon- 
struierbar. Eine Vertretung haben, sich ver- 
treten, d. h. seine Rechte durch andere Per- 
sonen ausüben lassen, kann nur ein Rechtsfub- 
jekt; ein solches ist aber die Gesamtheit der 
Bürgerschaft nicht, da ihr als solcher eine von 
der Stadtgemeinde verschiedene und dieser gegen- 
über selbständige Subjektivität nicht zukommt. 
Auch fehlt es an einem Faktor, welchem gegen- 
über die Stadtverordnetenversammlung die 
Rechte der Bürgerschaft vertreten sollte. Der 
Magistrat kann hier nicht in Frage kommen, 
er ist ebenso ein Organ der städtischen Ber- 
waltung wie die Stadtverordnetenversammlung, 
und es kann daher keine Interessen der Ge- 
meinde geben, welche mit den seinigen kolli- 
dieren und ihm gegenüber besonders gewahrt 
werden müssen. Die Ausdrücke „Stadtver- 
tretung“ oder „Gemeindevertretung“ sind daher 
heute unzutreffend; mit Recht findet Seydel 
(Bayerisches Staatsrecht, II, S. 88, Anm. 2) 
in ihnen einen Nachklang aus jener Zeit, wo 
die Ratsglieder sich als die „gnädigen Herren“ 
gegenüber „ihren“ Bürgern aufspielten. Vgl. 
auch Löning, Verw. R., S. 169, Anm. 1, und 
Schoen, in Hirths Ann., a. a. O., S. 756. 
* Vgl. Erkenntnisse des Ob. Trib. v. 10. Sept. 
u. 19. Dez. 1856, in Goltdammers Archivr 
f. Preußisches Strafrecht, IV, S. 834 u. V, 
S. 93; R. G. Entsch. in Straff., XII, S. 93. 
7 Ist die Stadtverordnetenversammlung, was 
unbestritten, eine politische Körperschaft, so steht 
ihr ohne weiteres §. 197 des R. Str. G. B. zur 
Seite, und es ist irrelevant, ob sie außerdem 
wegen gewisser behördlicher Funktionen auch als 
Behörde angesehen werden kann. Es kann 
nicht auf Grund des letzteren Umstandes §. 196 
a. a. O. auf sie angewandt und ein Antrag 
für die Strafverfolgung gefordert werden. Die
	        
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