134 Zweiter Abschnitt. (8. 34.)
II. Die Stadtverordnetenversammlung ist dagegen das vorzugsweise beschließende
Organ der Stadtgemeinde. Ihr Beschluß, und zwar in Städten mit kollegialischer Magi-
stratsverfassung in Verbindung mit dem des Magistrats, stellt den Willen der Stadt-
persönlichkeit dar. Sie ist aber prinzipiell nicht befugt, ihre Beschlüsse, soweit dieselben
nicht lediglich ihre Geschäftsführung betreffen 1, selbst zur Ausführung zu bringen.
Lediglich als Ausnahmen hiervon sind zu betrachten: das Recht der Stadtverordneten-
versammlung, Beschwerden über den Magistrat bei der Aufsichtsbehörde anzubringens,
bei Meinungsverschiedenheiten den Beschluß des Bezirksausschusses“ anzurufen und die
ihr durch das Zuständigkeitsgesetz beigelegte beschränkte Prozeßfähigkeit.
III. Im einzelnen sind die Kompetenzen beider Kollegien und besonders die den
Stadtverordneten zustehende Mitwirkung bei den Entschließungen über Gemeindeangelegen-
heiten und bei deren Verwaltung verschieden geregelt. Es sind zwei Rechtsgebiete zu
unterscheiden, je nachdem der Schwerpunkt der Verwaltung in der Stadtverordneten-
versammlung oder im Magistrate liegt. «
1) Das erste Prinzip gilt in den alten Provinzen, in Frankfurt a. M. und
im Gebiet der Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden. Hier beschließt
die Stadtverordnetenversammlung „über alle Gemeindeangelegenheiten, soweit dieselben
nicht ausschließlich dem Magistrat überwiesen sind“. Daraus ergiebt sich positiv: nicht
nur über das Gemeindevermögen, sondern über alle Gemeindeangelegenheiten haben
die Stadtverordneten zu beschließen, und alle Handlungen des Magistrats, die nicht in
seiner Eigenschaft als Obrigkeit begründet sind, müssen auf einem Stadtverordneten-
beschluß beruhen; negativ: die Thätigkeit der Stadtverordnetenversammlung findet ihre
Grenze im Begriff der Gemein de angelegenheit. Alle Beratungen und Beschlüsse der-
selben, welche Angelegenheiten der Staatsverfassung, des Landtages der Monarchie und
der allgemeinen Politik betreffen, sind daher als gesetzwidrig anzusehen, sofern diese
Angelegenheiten nicht durch besondere Gesetze oder in einzelnen Fällen durch Aufträge
der Aufsichtsbehörden an sie gewiesen sind.7 Was unter den Begriff „Gemeindeange-
legenheit“ fällt, ist aber, mangels näherer gesetzlicher Bestimmung, aus dem Zwecke der
Gemeinde zu entnehmen. Dieser ist nicht ein vereinzelter, sondern der, alle Beziehungen
des öffentlichen Lebens in sich aufzunehmen.
Die Gemeinde kann alles in den Bereich
vollmacht oder den Urkunden wird daher nicht
gefordert. Entsch. des Ob. Trib., in Striet=
dorsts Archiv, IV, S. 1; XVII, S. 317; auch
G. G. nass., §. 61, Abf. 3.
1 M. Reskr. v. 17. Juli 1860 (V. M. Bil.,
S. 170).
: St. O. ö., wiesb. u. w., §. 36; rh., §. 35;
frkf., §. 46, Abs. 2.
* M. Reskr. v. 10. Jan. 1842 (V. M. Bl.,
S. 5).
* Vgl. unten S. 138 ff.
* Vgl. oben S. 91, Anm. 4.
* St. O. ö., wiesb. u. w., §. 35; rh., §F. 34;
frkf., §. 45. Die beschließende Thätigkeit der
Gemeindevertretung hat durch das Zust. G.,
§. 10 noch insofern eine Ausdehnung erfahren,
als hiernach in einer Reihe von Fällen die Ge-
meindevertretung an Stelle des Gemeindevor-
standes bezw. nach den Bestimmungen einzelner
Verfassungsgesetze an Stelle beider zusammen
bis dabin zuständigen Organe getreten ist. Sie
soll beschließen: 1) auf Beschwerden und Ein-
sprüche bemeffend den Besitz oder Verlust des
Bürgerrechts, insbesondere des aktiven und pas-
siven Gemeindewablrechts, die Verpflichtung zum
Erwerb oder zur Verleihung des Bürgerrechts,
bezw. zur Zahlung von Bürgergewinngeldern
und zur Leistung des Bürgereides, die Zuge-
hörigkeit zu einer bestimmten Bürgerklasse, die
Richtigkeit der Gemeindewählerliste; 2) über die
Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung;
3) Über die Berechtigung zur Ablehnung oder
Niederlegung von Amtern und Stellen in der
Gemeindeverwaltung und Vertretung, über die
gegen Gemeindemitglieder wegen Nichterfül-
lung der Gemeindepflichten oder gegen Stadt-
verordnete auf Grund der Geschäftsordnung zu
Orhängenden Nachteile und Strasen. — Die
Thätigkeit der Gemeindevertretung ist in allen
diesen Fällen eine lediglich beschließende,
sie soll sich als Organ der Stadtgemeinde dar-
über schlüssig machen, welchen Rechtsstandpunkt
letztere in dem betr. Falle einzunebmen hat.
Unzutreffend ist die Auffassung, daß der Ge-
meindevertretung bier die Stellung einer Be-
hörde angewiesen sei, welche im Streite zwi-
schen den Beteiligten und dem Gemeindevorstand
zu entscheiden babe. O. V. G., XV, S. 31.
Die Beschlußfassung der Gemeindevertretung in
diesen Fällen ist eine völlig unabhängige, eine
Genehmigung oder Bestätigung des Beschlusses
durch den Gemeindevorstand oder die Aufsichts-
behörde ist nach §. 11 des Zust. G. ausdrücklich
ausgeschlossen.
7 M. Erl. v. 6. Juni 1863 (V. M. Bl., S. 118)
und die in vorangehender Anm. cit. §§. der
St. Ordugn.
* O. V. G., XII, S. 155; XIII, S. 89;
XIV, S. 77.
&