Ortsgemeinden; das geltende Recht. (8. 55.) 209
Zweites Stück.
Das Finanzrecht insbesondere.
g. 55.
J. Begriff und System des Finanzrechtes.!
I. Das Finanzrecht der Gemeinden umfaßt die Gesamtheit derjenigen Rechts-
normen, welche sich auf die ökonomischen Angelegenheiten der Gemeinden beziehen. Beie
der Verwaltung derselben handelt es sich einerseits um die Beschaffung materieller
Mittel zur Erfüllung der Verpflichtungen und zur Befriedigung der Bedürfnisse der
Gemeinde (Gemeindeeinnahmen), andererseits um die Verwendung der flüssig
gemachten Mittel zur Durchführung der Gemeindezwecke (Gemeindeausgaben).
II. Die Gemeindeausgaben zerfallen in ordentliche, d. h. periodisch wieder-
kehrende, welche einem dauernden, und außerordentliche, welche einem nur vorübergehenden
Gemeindebedürfnisse genügen sollen. Beide Arten von Ausgaben können, soweit sie
überhaupt obligatorische und nicht nur freiwillig übernommene sind, wieder entweder auf
einem privatrechtlichen oder auf einem öffentlich-rechtlichen Verpflichtungsgrunde beruhen;
zur Leistung der ersteren können die Gemeinden nur auf dem Wege des ordentlichen
Civilprozesses durch richterliches Urteil und dessen Zwangsvollstreckung? genötigt werden,
zur Leistung der letzteren dagegen im Wege der Zwangsetatisierung" durch Verfügung
der Aufsichtsbehörde, welche durch Klage bei den Verwaltungsgerichten anfechtbar ist.“
III. Die Gemeindeeinnahmen zerfallen gleich den Ausgaben in ordentliche und
außerordentliche, und erstere wieder in öffentlich-rechtliche und privatrechtliche. Die ordent-
lichen öffentlich-rechtlichen Einnahmen umfassen diejenigen Leistungen, welche die Gemeinde
kraft ihrer Finanzgewalt von den dieser unterworfenen Personen, Grundstücken u. s. w.
oder auf Grund besonderer Gesetze von anderen Verpflichteten fordert, und die Zu-
wendungen, welche ihr vom Staate oder höheren Kommunalverbänden gemacht werden.
Die ordentlichen privatrechtlichen Einnahmen umfassen alle Einkünfte, welche den Ge-
meinden aus der Nutzung des Gemeindevermögens und aus dem Betriebe gewerblicher
Unternehmungen zufließen. Die außerordentlichen Einnahmen endlich, welche stets privat-
rechtlichen Charakters sind, erwachsen aus Schenkungen, aus der Aufnahme von An-
leihen und aus der Veräußerung von Substanzteilen des Gemeindevermögens.
Die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Einnahmen zu verwenden und dem-
entsprechend die verschiedenen Einnahmequellen flüssig zu machen sind, ergiebt sich aus
der Natur der Sache und ist überdies in den meisten Gemeindeverfassungsgesetzen vor-
eschrieben: Besitzt die Gemeinde ein eigentümliches Vermögen, so sind zunächst dessen
Ercige und Nutzungen zur Führung des Gemeindehaushaltes zu verwenden. Reichen
diese nicht aus, so müssen die erforderlichen Mittel durch Auflagen aufgebracht werden.
Ist auch dies ohne allzu drückende Belastung der Gemeindeangehörigen nicht möglich,
so muß zur Aufnahme einer Anleihe oder zur Veräußerung eines Teiles der Substanz
des Gemeindevermögens geschritten werden.
Im Folgenden sind nur die Gemeindeeinnahmen eingehender zu erörtern. Die
Gemeindeausgaben bieten keine Veranlassung zu einer rechtlichen Betrachtung; die Fälle,
in welchen sie notwendig werden, ergeben sich aus dem Wirkungskreise der Gemeinden
überhaupt.
1 Lei dig, S. 201—203. Hierüber das Nähere unten F. 94.
„ Über die Zwangsvollstreckung gegen Ge- * Löning, S. 193 unter V.
meinden vgl. oben S. 75.
Schoen. 14