Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

10 Erster Abschnitt. (8. 1.) 
Selbstverwaltungskörper. Charakteristisch in dieser Beziehung ist das dem Staate nach den 
preußischen Gemeindegesetzen zustehende Recht der Zwangsetatisierung, vermöge dessen eine 
Gemeinde unter gewissen Voraussetzungen gezwungen werden kann, die behufs Erfüllung 
ihrer Aufgaben ihr gesetzlich obliegenden Leistungen auf ihren Haushaltsetat zu bringen 
oder außerordentlich zu genehmigen. Hierher gehört auch das Recht der Aufsichtsbehörden, 
durch Androhung und Festsetzung der ihnen zu Gebote stehenden allgemeinen Zwangs- 
mittel die Organe des Selbstverwaltungskörpers zu Handlungen und Unterlassungen 
zu zwingen, zu welchen sie rechtlich verpflichtet sind, ferner das Recht des Staates, 
gewisse Selbstverwaltungsämter kommissarisch zu besetzen, wenn der für dieselben durch 
die Selbstverwaltungsorgane Gewählte wiederholt nicht bestätigt oder die Vornahme 
einer Wahl überhaupt verweigert ist, und das Recht des Staates, Gemeindevertretungen, 
welche dauernd ihre Pflichten vernachlässigen, aufzulösen und an ihrer Stelle über 
die Gemeindeangelegenheiten zu beschließen. Ein Ausfluß dieser positiven Aufsichts- 
funktion des Staates endlich ist seine Befugnis, ein Gemeinwesen, welches nicht mehr 
im stande ist, die ihm als Selbstverwaltungskörper obliegenden öffentlich-rechtlichen Ver- 
pflichtungen zu erfüllen, aufzulösen, — ein Grundsatz, welcher neuerdings wieder in der 
Landgemeindeordnung von 1891 bezüglich leistungsunfähiger Landgemeinden ausgesprochen 
worden ist. Er bringt zum klaren Ausdruck, daß das Wesen und der ganze Lebens- 
zweck des Selbstverwaltungskörpers lediglich in der Erfüllung von Pflichten gegenüber 
dem Staate besteht.1 
Diese staatliche Oberaufsicht ist das festeste Bindeglied zwischen unmittelbarer Staats- 
und Selbstverwaltung. Wie der Staat infolge seiner Selbstbeschränkung auf die Thätig- 
keit der Selbstverwaltungskörper angewiesen ist, so sind diese auch im Kreise ihrer freien 
Verwaltung oft auf die Mitwirkung des Staates angewiesen. Es entsteht so ein 
dauerndes Zusammenarbeiten zwischen Staat und Selbstverwaltungskörpern zur gemein- 
schaftlichen Verwirklichung der Staatsaufgaben, welches Hänel treffend dahin charakterisiert- 
„Dem Staate gebührt nach Recht und Pflicht überwachung und Sicherstellung der Ver- 
waltungsaufgaben, den Selbstverwaltungskörpern deren Verwirklichung. Dem Staate 
steht auf dem Kompetenzgebiete der Selbstverwaltung eine nur mittelbare, den Selbst- 
verwaltungskörpern die runmittelbare und eigene? Verwaltung zu.“? 
Damit ist die Begriffsbestimmung der Selbstverwaltung im wesentlichen erschöpft. 
Es handelt sich nunmehr darum, festzustellen, welche konkreten Selbstverwaltungskörper 
unser heutiges Recht kennt, besonders ob nur die Kommunalverbände als solche an- 
zusehen sind. 
Selbstverwaltungskörper ist nach den vorangegangenen Ausführungen eine juristische 
Person, welche kraft öffentlichen Rechtes zur selbständigen Führung staatlicher Geschäfte 
verpflichtet ist und in dieser Thätigkeit ihren Lebenszweck findet.3 Darin allein liegt 
das Wesen des Selbstverwaltungskörpers, weitere Kriterien desselben lassen sich nicht 
ermitteln. Alle Momente, die man sonst noch als solche angeführt hat, sind lediglich 
accessorischer Natur, sind Konsequenzen dieser Pflichtstellung der Selbstverwaltungs- 
körper zum Staate; charakteristisch mögen sie sein für diese oder jene Art von Selbst- 
verwaltungskörpern, nicht sind sie es für den allgemeinen Begriff derselben, welcher 
lediglich aus dem Begriff der Selbstverwaltung entwickelt werden muß. Von unter- 
geordneter Bedeutung ist daher die Formulierung der positiven staatlichen Aufsichts- 
funktionen im einzelnen; sie verfolgen den Zweck, dem Staate die Erzwingung der ihm 
vom Selbstverwaltungskörper geschuldeten Pflichten zu ermöglichen, und müssen daher nach 
1 Näheres siehe bei Rosin, Recht der öffentl. 
Genossenschaft, S. 109 ff.; Blodig, S. 148 ff. 
2 Hänel, S. 141. 
:* Vgl. Rosin, Offentl. Genossensch., S. 18. 
— Ebendas., S. 1—15 eine eingehendere Kritik 
der einzelnen Ansichten über die öffentliche 
Körperschaft. — Das Pflichtverhältnis, welches 
in der besondern Staatsaufsicht seinen vor- 
züglichsten Ausdruck findet, heben ferner Hänel, 
S. 138 ff. u. 322, und Blodig, S. 23, 47, als 
  
begriffswesentlich hervor. Auch E. Mayer nennt 
in der Münchener krit. Vierteljahrsschrift, Neue 
Folge, VII, S. 592 ff., die öffentlichen Kor- 
porationen oder Selbstverwaltungskörper „unter 
besondere Staatsaufsicht gestellte Vereinigungen“, 
er glaubt jedoch, daß in diesem Verhältnis zum 
Staate allein noch nicht das Wesen des Selbst- 
verwaltungskörpers liege, für dieses noch andere 
Momente (obrigkeitliche Gewalt und Beitritts- 
zwang) erforderlich seien.
	        
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