Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

Selbstverwaltung und Selbstverwaltungstörper. (8. 1.) 11 
Art und Bedeutung der letzteren verschieden gestaltet sein. Lediglich infolge der Auf— 
erlegung dieser Pflichten hat der Staat die Selbstverwaltungskörper ihren Mitgliedern 
gegenüber in weiterem oder geringerem Umfange mit Zwangsrechten ausgestattet!; sie 
sind die Mittel, welche ihnen die Erfüllung ihrer Pflichten erleichtern oder erst er— 
möglichen. Gleichgültig für den Begriff des Selbstverwaltungskörpers ist auch die Art 
der ihm anvertrauten Geschäfte. Diese können dieselben sein, welche. den Lebenszweck 
einer Privatrechtskorporation ausmachen?, nur müssen sie sich als öffentlich-rechtliche 
Pflichterfüllungen gegenüber dem Staate gualifizieren. Ein treffendes Beispiel hierfür 
liefert das preußische Wassergenossenschaftsgesetz v. 1. April 1879, nach welchem Wasser- 
genossenschaften, die dieselben Zwecke verfolgen, Selbstverwaltungskörper oder auch Privat- 
rechtskorporationen sein können, je nachdem der Staat ihre Existenz als in seinem 
Interesse liegend anerkennt und sie dann unter seine besondere Aufsicht nimmt oder nicht. 
Rechtlich unerheblich für den Begriff des Selbstverwaltungskörpers muß endlich nach 
unserer Definition das von einigen Schriftstellerns als wesentlich erachtete Moment des 
Beitrittszwanges erscheinen. Es ist für däs Pflichtverhältnis des Selbstverwaltungs- 
körpers als solchen zum Staate ganz gleich, ob die Angehörigen des ersteren freiwillig 
eder gezwungen in die Mitgliedschaftsstellung getreten sind. Auch hierin befinden wir 
uns in Üübereinstimmung mit dem positiven Rechte. Das ebenerwähnte Gesetz teilt alle 
Wassergenossenschaften in freie und öffentliche ein; erstere unterstehen gänzlich dem Privat- 
rechte, sie haben keine Pflichten gegen den Staat und sind seinem Aufsichtsrechte auch 
nicht unterworfen, letztere dagegen unterstehen durchweg dem öffentlichen Rechte, sie 
entstehen nur im öffentlichen, vom Staate anerkannten Interesse, haben dem Staate 
gegenüber weitgehende Pflichten, zu deren Erfüllung sie eventuell im Wege der Zwangs- 
etatisierung angehalten werden können, sind ihren Mitgliedern gegenüber behufs Bei- 
treibung der Genossenschaftsbeiträge mit den gleichen Zwangsbefugnissen ausgerüstet wie 
die Kommunalverbände und vereinigen somit in sich alle uns bisher bekannten Momente 
eines Selbstverwaltungskörpers. Dennoch findet nur bei einer besonderen Art dieser 
öffentlichen Verbände, bei den im übrigen in keiner Weise abweichend organisierten Ent- 
und Bewässerungsgenossenschaften, ein Beitrittszwang statt; einer öffentlichen Wasser- 
genossenschaft, die einen anderen Zweck verfolgt (Schutz der Ufer, Anlegung, Benutzung 
oder Unterhaltung von Wasserläufen u. s. w.), als Mitglied beizutreten, kann nach aus- 
drücklicher Vorschrift des Gesetzes niemand gezwungen werden." 
Daraus folgt, daß der Gegensatz zur freien privatrechtlichen Genossenschaft im 
Sinne dieses Gesetzes nicht in der zwangsweise konstituierten, sondern in einer durch 
die Staatsaufsicht gebundenen besteht und daß dem Beitrittszwange nicht die Bedeutung 
eines durchgreifenden Merkmals der öffentlichen Korporation und des Selbstverwaltungs- 
körpers beigelegt werden darf. Verschieden von diesem nicht notwendig vorhandenen 
Zwang, welchen der Staat ausüben kann bei Begründung eines Selbstverwaltungskörpers, 
ist der Zwang, welchen er gegen einen bestehenden Selbstverwaltungskörper bezw. 
seine Mitglieder zum Fortbestehen bezw. zum Verbleiben in dem Verbande ausübt. 
Dieser ist allerdings ein Charakteristikum aller Selbstverwaltungskörper, kein Selbst- 
verwaltungskörper darf sich ohne den Willen des Staates selbst auflösen; das ist aber 
wieder lediglich eine Folge der Pflichtstellung des Selbstverwaltungskörpers zum Staate. 
Einmal zur Existenz gelangt, sei es auf Grund freien Entschlusses der Beteiligten, sei 
  
1 Diese Ausstattung mit „obrigkeitlicher“, 
„staatlicher Gewalt“ und Zwangsrechten gegen 
die Mitglieder sehen als wesentliches Kriterium 
der öffentlich-rechtlichen Korporation an: G. 
dagegen Rosin, Offtntl. Genossensch., S. 
6 
1 v. Stengel, Organisation, S. 15. 
Gierke, Mechtsgesch d. dtsch. Genossensch., 
Meyer, Verw. R., S. 24; v. Sarwey, All- 
em. Verw. R., S. 72; Hinschius, Staat und 
Kirche, in Marquardsens Hdbch., I, 1. Halbbd., 
S. 255; Gierke. Die Genossenschaftstheorie 
und die deutsche Rechtsprechung (Berlin 1887), 
S. 162 ff.; Jellineck, System der subjek- 
tiven öffentlichen Rechte (Freiburg 1892), S. 
252 ff.; E. Mayer, in der Münchener krit. 
Vierteljahrsschrift, Neue Folge, VII, S. 592; 
  
§. 54, A. III, 2; Rösler, Deutsches Verwal- 
tungsrecht, I, 2, S. 615; E. Mayer, a. a. O.: 
Zorn, Lehrb. des Kirchenrechts (Stuttgart 1888), 
S. 221. Auch wohl Löning, wenn er S. 271, 
Anm. 1, sagt: „Durch die auf übereinstimmen- 
der Willenserklärung beruhende Gründung 
unterscheidet sich der Verein von staatlichen 
Selbstverwaltungskörpern.“ 
* §. 46 des Ges.
	        
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