Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

340 Zweiter Abschnitt. (8. 95.) 
aus und werden nicht in kommunaler Beziehung Bestandteile des Gutsbezirks; umgekehrt 
tritt in dem Umfange des Gutsbezirks dadurch keine Veränderung ein, daß der Guts- 
herr Parzellen desselben veräußert, auch den abveräußerten Parzellen gegenüber behält 
der Gutsherr seine öffentlichen Rechte und Pflichten. Ein Gutsbezirk kann niemals 
durch Zerstückelung des Gutes allein aufgehoben werden, sondern nur durch einen öffent- 
lich-rechtlichen Akt, und ein Gutsherr kann sich niemals durch einseitigen Akt seiner 
gutsherrlichen Rechte und Pflichten entäußern.? Allerdings beruht der Begriff des Guts- 
bezirks auf der „Einheit des Besitzes“, und die Zerstörung dieser Einheit durch privat- 
rechtliche Dispositionen kann dem Staate Veranlassung sein, eine anderweite Regelung 
der kommunalen Verhältnisse des betreffenden Gutsbezirks vorzunehmen 3, sie bewirkt 
aber nicht direkt die Aufhebung desselben. 
Gutsbezirke der eben geschilderten Art giebt es vorzüglich in den alten östlichen 
Provinzenz; hier erscheinen sie, wie oben gezeigt", als das Produkt einer jahrhunderte- 
langen Entwickelung der ländlichen Verhältnisse; sodann finden sie sich aber und sind 
gesetzlich anerkannt in Westfalen, Schleswig-Holstein, Hannover und im Re- 
gierungsbezirk Kassel.“ 
Die Fragen, ob einem bestimmten Gute die Eigenschaft eines selbständigen Guts- 
bezirks zukommt, wie diese Eigenschaft erworben und wie sie verloren wird, sind für die 
einzelnen Rechtsgebiete nach verschiedenen Gesichtspunkten zu beantworten. Vorweg mag 
bemerkt werden, daß diese oder jene Benennung keinen Anhaltspunkt für die Erkenntnis 
der kommunalen Eigenschaft eines Bezirks giebt: im gewöhnlichen Leben nennen wir 
jede größere wirtschaftlich selbständige ländliche Besitzung ein Gut, ohne Rücksicht auf 
die Stellung, welche ihr im öffentlichen Rechte zukommt. Auch ist die Ritterguts- 
qualität einer Besitzung, welche, wie wir sehen werden, in den alten Provinzen von 
Bedeutung sein kann, nicht immer ein untrügliches Zeichen dafür, daß diese Besitzung 
einen selbständigen Gutsbezirk bildet. In der Provinz Preußen giebt es adelige Frei- 
dörfer, welche aus einer Mehrzahl kleiner Rittergüter bestehen 6; in den Provinzen 
Westfalen und Sachsen sind zahlreiche Rittergüter, welche unter französischer Herr- 
schaft ländlichen oder städtischen Gemeindebezirken einverleibt worden waren, nach Auf- 
hebung der Fremdherrschaft im Verbande dieser Gemeinden geblieben ; Überall aber sind 
früher und werden auch jetzt noch häufig Rittergüter, die auf die Dauer die Aufgaben 
eines Gutsbezirks nicht mehr erfüllen können, den Gemeinden inkommunalisiert. Alle 
diese Rittergüter haben nur ihre kommunale Selbständigkeit verloren, sie haben auf- 
gehört bezw. sie hören auf selbständige Gutsbezirke zu sein, aber ihre Rittergutsqualität 
wird dadurch nicht beeinträchtigt; mit diesen Gütern bleiben nach wie vor alle diejenigen 
Rechte und Pflichten verbunden, welche nicht lediglich ein Ausfluß ihrer bisherigen kom- 
munalen Stellung waren, so das Kirchenpatronat, die Berechtigung zur Aufnahme in 
die ritterschaftlichen Kreditvereine (Landschaften) und die Befugnis zur Teilnahme an der 
Präsentation zum Herrenhause.“ 
I. In den alten östlichen Provinzen giebt es zwei Arten von Gutsbezirken: 
solche, die ihre öffentlich-rechtliche Stellung auf Grund der historischen Entwickelung der 
obrigkeitlichen Verwaltung des platten Landes erlangt haben, und solche, denen sie durch 
einen besonderen Akt der Staatshoheit verliehen worden ist. Man spricht daher hier 
  
1 O. V. G., I, S. 110, 158; II, S. 159; 
VII, S. 183, 203; Blodig, Selbstverwaltung, 
S. 269. 
* O. V. G., I, S. 147; VII, S. 203 ff. 
* M. Erl. v. 10. März 1873, zu Art. 3 der 
Instr. von demselben Tage (V. M. Bl., S. 81). 
4 Bgl. oben S. 46 ff. 
* Ein Analogon zu den Gutsbezirken der 
östlichen Provinzen giebt es endlich noch in 
Hobenzollern= Sigmaringen, indem die 
dortige G. O. von den Gemeinden abgesonderte 
Waldungen, Hofgüter und Fabrikorte kennt. Die 
Kommunallasten in diesen hat, abgesehen von 
den Wege- und Schullasten, zu welchen auch 
  
die Einsassen herangezogen werden können, der 
Besitzer der Waldung u. s. w. allein zu tragen. 
Die Polizei über diese Bezirke wird entweder 
von benachbarten Bürgermeistern oder von be- 
sonders vom Oberamtmann beauftragten Ein- 
wohnern derselben (Statthaltern) gehandhabt. 
Ges. wegen Anordnung der Provinzialstände 
v. 1. Juli 1823, §S. 14. 
7 Vgl. oben S. 56. Betreffs der Berhält- 
wisse in Sachsen vgl. auch O. V. G., VI, 
1 
1 v. Möller, L., S. 370; Genzmer, 
S. 44; §. 4, Z. 2 u. 4 der Vdg. v. 12. Okt. 
1854 (G. S., S. 541).
	        
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