Ortsgemeinden; das geltende Recht. (8. 95.) 343
2) Nach Aufhebung der bürgerlichen Erbunterthänigkeit konnte das Recht auf
Unterthanen nicht weiter ausgeübt und auch nicht mehr neu erworben werden. Sollte
ein Gut in kommunaler Beziehung den alten ehemals mit herrschaftlichen Rechten aus-
gestatteten Besitzungen gleichgestellt werden, so mußte diese Gleichstellung durch einen
besonderen Akt der Staatshoheit ausgesprochen werden. Dies erfolgte zunächst dadurch,
daß dem Gute durch den König die Rittergutsqualität verliehen und damit
dieselbe kommunale Stellung wie den alten historischen Rittergütern eingeräumt wurde.
Seit dem Gesetz v. 14. April 1856 konnten dann kommunalfreie Grundstücke wie auch
Besitzungen, die bisher zu einer Landgemeinde gehört hatten, mit Genehmigung des
Königs direkt zu selbständigen Gutsbezirken erklärt werden.! Dieser Grundsatz
ist in die neue Landgemeindeordnung übergegangen. Die Neubildung von selbst-
ständigen Gutsbezirken kann nunmehr nur durch einen Staatshoheitsakt erfolgen,
durch Beschluß eines Kreis= oder Bezirksausschusses mit hinzukommender königlicher
Genehmigung. Auf diese Weise können bisher kommunalfreie., Grundstücke, bisherige
Teile von Gutsbezirken oder Gemeinden, ja selbst ganze Landgemeinden zu selbständigen
Gutsbezirken erhoben bezw. in solche verwandelt werden.: Materielle Voraussetzung für
die Schaffung eines neuen Gutsbezirks ist stets, daß der betreffende Bezirk seinem Um-
fange und seiner Leistungsfähigkeit nach verspricht, die einem selbständigen Gutsbezirk
zugemuteten Aufgaben zu erfüllen. Hinsichtlich des formellen Verfahrens, inwieweit zu
solchen kommunalen Veränderungen eine Zustimmung der beteiligten Personen und Ver-
bände erforderlich ist, ob bezw. wann diese durch den Ausspruch staatlicher Organe
ersetzt werden kann, ist lediglich auf die obigen Ausführungen S. 163 ff. zu verweisen.“
Die Aufhebung eines Gutsbezirks setzt stets, mag es sich um einen Gutsbezirk
älteren Rechtes oder um einen neueren Rechtes handeln, einen Staatshoheitsakt voraus.
Eine solche Aufhebung kann zunächst darin bestehen, daß der Gutsbezirk aufgelöst wird;
dies hat durch königliche Anordnung zu erfolgen, wenn der Gutsbezirk außer stande
ist, seine öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen; eine Zustimmung der Beteiligten
ist hierzu nicht erforderlich; die kommunalen Verhältnisse der Teile des aufgelösten Guts-
bezirks sind in derselben Weise zu regeln wie die von Grundstücken, welche bisher noch
keinem Gemeinde= oder Gutsbezirk angehörten.“ Seine Selbständigkeit verliert ein
Gutsbezirk aber auch und er hört auf als solcher zu existieren, wenn er ohne Zerstücke-
lung in eine Landgemeinde umgewandelt oder einem anderen Gemeinde= oder Guts-
bezirk zugeschlagen wird. Auch diese kommunalen Veränderungen erfolgen nur mit
Genehmigung des Königs, sie setzen aber eine Beschlußfassung des Kreis= bezw. Bezirks-
ausschusses und eine Zustimmung der Beteiligten, bezw. eine Ergänzung dieser Zustim-
mung durch Beschluß der genannten Ausschüsse voraus. Näheres hierüber siehe oben
164. 5
II. Anders und einfacher liegen die Verhältnisse in den beiden westlichen Pro-
vinzen. Hier hatte die französische Herrschaft alle selbständigen Gutsbezirke beseitigt
und mit den Gemeinden vereinigt. Nach der Wiedergewinnung dieser Gebietsteile
wurden Gutsbezirke aber nur in Westfalen wiederhergestellt und neu gebildet, und
zwar sollten nach der Landgemeindeordnung v. 19. März 1856 nur landtags fähige,
bereits vor dem Erlasse der Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen von
1841 in die Rittergutsmatrikel eingetragene Rittergüter zu Gutsbezirken
erhoben werden können, wenn sie den Zwecken einer Gemeinde für sich allein zu ge-
1 §. 1, Abs. 2 dieses Gesetzes.
2 L. G. O. ö., F. 2.
*s Mit spezieller Beziehung auf die Guts-
bezirke entwickelt die diesbezüglichen Rechtsvor-
schriften Genzmer, S. 39 u. 40.
* L. G. O. ö., §. 2, Z. 2, und oben S. 63.
5 Für die Neubildung und Aufhebung der
Gutsbezirke gelten dieselben Rechtsgrundsätze wie
für die Landgemeinden. Schon in einer Entsch.
v. 13. Okt. 1876 sprach sich das O. V. G.
dahin aus: „daß dieselben Rechtsgrundsätze,
nach denen sich die Neubildung und Aufhebung
von Landgemeinden regelt, auch auf die Guts-
bezirke Anwendung finden. Dies hat durch
das Gesetz betr. die Landgemeindeverfassung v.
14. April 1856 eine ausreichende Anerkennung
gefunden“ (O. V. G., 1, S. 110; vyl. auch Ill,
S. 16). Die neue l #. . ö. bat die Gleich-
stellung der Landgemeinden und Gutsbezirke in
diesen Beziehungen vollkommen durchgeführt.
Vgl. §. 2 derselben.