360 Zweiter Abschnitt. (8. 100.)
Die Kirchspielsgemeinden erscheinen hiernach, wie bereits erwähnt 1, als eine Art
Samtgemeinden; sie sind nicht wie die oben besprochenen Vereinigungen mehrerer
Gemeinden und Gutsbezirke in den östlichen Provinzen und Schleswig-Holstein
lediglich Zweckverbände, welchen eine korporative Organisation nicht wesentlich ist, son-
dern sie sind wirkliche Gemeinden, welche eine Mehrzahl kleiner kommunaler Körper-
schaften zusammenfassen. Sie ähneln den Bürgermeistereien in der Rheinprovinz und
den Amtern in Westfalen. Aber sie sind von diesen doch wiederum sehr verschieden:
diese sind zunächst staatliche Verwaltungsbezirke und nur nebenbei Kommunalverbände, die
Kirchspielsgemeinden dagegen sind lediglich kommunale Körperschaften. Die Bürgermeiste-
reien und noch mehr die Amter haben eine abgeleitete kommunale Kompetenz; zu ihrem
Wirkungskreise gehören nur diejenigen Angelegenheiten, welche sie den Einzelgemeinden,
und zwar in Westfalen mit ihrer Zustimmung, durch besondere Beschlußfassung entzogen
haben: die Fülle der kommunalen Kompetenzen ist hier bei den Einzelgemeinden. Anders
die Kirchspielsgemeinden: sie erfassen wie sonst die Einzelgemeinden das kommunale Leben
in seiner Totalität, für ihre Zuständigkeit spricht stets die Präsumtion; die durch sie ver-
bundenen Bauerschaften sind nur für diejenigen lokalen Angelegenheiten zuständig,
welche sie seit Alters her verwalten, oder welche ihnen von den Kirchspielen ausdrücklich
überwiesen sind.
Eine besondere kommunale Eigentümlichkeit hat endlich noch der Kreis Husum auf-
zuweisen. Hier bestehen in verschiedenen Kirchspielslandgemeinden neben den Dorfschaften
noch sogen. „Köge“ oder „Marschkommunen“, das sind unbewohnte Marschbezirke, deren
Eigentümer — Interessenten — in benachbarten Dorfschaften wohnen. Sie bilden
selbständige Körperschaften, welche ihre öffentlichen Gemarkungsangelegenheiten, wie Wege,
Siele, Deiche, Brücken, Schleusen u. s. w., nach eigener althergebrachter Verfassung ver-
walten. Ihr Vorsteher, „Kogsvorsteher“ oder „Deichvogt“ genannt, ist als solcher
Mitglied der Kirchspielslandgemeindevertretung und für gewisse Angelegenheiten Hilfs-
beamter des Kirchspielsvorstehers. Die neue Landgemeindeordnung hat diesen Kögen ihre
Verfassung belassen, jedoch im Interesse ihrer einheitlichen Fortbildung angeordnet, daß
durch Kreisstatut Normativbestimmungen zu erlassen sind.
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IV. Die Samtgemeinden in Hannover und Kurhessen.
I. In Hannover wurde die Bildung von Samtgemeinden aus Landgemeinden,
„welche eine für die gehörige Ausübung der Rechte und Pflichten der Gemeinden ge-
nügende Größe nicht haben“, durch die mit der Landgemeindeordnung ergangene Ministe-
rialbekanntmachung v. 28. April 1859 empfohlen. Insbesondere sollten solche Ver-
einigungen in Bezug auf das Wohnrecht und die Armenlast herbeigeführt werden?;
heute hat das Wohnrecht seine Bedeutung verloren, und der Zusammentritt mehrerer
Gemeinden zur gemeinschaftlichen Tragung der Armenlast regelt sich nach dem Aus-
führungsgesetz zum Unterstützungswohnsitzgesetz vom 8. März 1871, im übrigen wird die
Bildung und Organisation von Samtgemeinden in Hannover auch heute durch diese
Ministerialbekanntmachung und einige Bestimmungen der Landgemeindeordnung geregelt.
Die hannöverschen Samtgemeinden sollen sich möglichst an schon bestehende Ver-
bindungen, Kirchspielsverbände u. s. w. anlehnen. Sie sind „wirkliche Gemeinden“ und
haben daher für ihren Wirkungskreis alle Rechte und Pflichten solcher. Ihre Bildung
hat „im Wege gütlicher Verhandlungen“ zu erfolgen, nur die Gutsbezirke können wider
den Willen ihrer Besitzer einem Gemeindeverbande angeschlossen werden, wenn dies
zweckmäßig erscheint.“ Jede Samtgemeinde muß einen Vorstand bestellen. Eine
1 Vgl. oben S. 351, Z. 3. des §. 12 des Verfassungsgesetzes v. 5. Sept.
: M. Bek., 88. 1 u. 9. 1848 v. 28. April 1859, Abs. 6, mitgeteilt bei
M. Bek., S. 2. v. Brauchitsch, Ergzbd. f. Hannover, S. 4.
* M. Bek., §. 4, und Ges. betr. Abänderung Über die Ausgleichung der besonderen Interessen