Provinzialgemeinden; das geltende Recht. (8. 139.) 465
maßgebend.! Daß das Aufkommen des laufenden und nicht das des verflossenen Jahres
zu berücksichtigen ist, ergiebt sich, wenngleich die Provinzialordnungen es weniger klar aus-
sprechen als die Kreisordnungen 2, unzweidentig aus den bei der Beratung der Provin=
zialordnung von 1875 über die Verteilung der Provinzialabgaben im Landtage gepfloge-
nen Verhandlungen./ Daß aber das Soll= und nicht das Istaufkommen zu berücksich-
tigen ist, ergiebt sich auch aus der allgemeinen Erwägung, daß die Verteilung und
Einforderung der Provinzialabgaben ordnungsmäßig am Anfange, oder doch mindestens
im Laufe des Rechnungsjahres erfolgen muß und damit nicht gewartet werden kann, bis
das Istaufkommen feststeht. Ebenso wie bei den Kreissteuern sind jedoch auch hier Ver-
änderungen zu berücksichtigen, welche die der Abgabenverteilung zu Grunde gelegten
Staatssteuerbeträge im Laufe des Steuerjahres infolge der Einlegung von Rechtsmitteln
(Einsprüchen, Berufungen u. s. w., erleiden; jede auf diesem Wege herbeigeführte Er-
höhung oder Ermäßigung der Staatssteuersätze ist eine Berichtigung des Staatssteuersoll-
aufkommens und zieht die entsprechende Abänderung der Veranlagung zu den Provinzial-
steuern nach sich." Dagegen hat das Istaufkommen der in den einzelnen Kreisen zur Hebung
gestellten direkten Staatssteuern keine Bedeutung für die Verteilung und Erhebung der
Provinzialsteuern; Ausfälle, welche durch die Uneinziehbarkeit der Individualabgaben ent-
stehen, sowie Anderungen, welche sich im Laufe des Steuerjahres infolge des Verziehens
oder des Todes Pflichtiger ergeben, bleiben unberücksichtigt; jeder Kreis hat den Abgaben-
betrag an die Provinz abzuführen, welcher seinem, eventuell im Rechtsmittelverfahren
berichtigten, Staatssteuersollauffommen entspricht.5
c) Bei Provinzial-(Bezirks-)Einrichtungen, welche in besonders hervorragendem oder
in besonders geringem Maße einzelnen Teilen des Verbandes zu gute kommen, kann
der Landtag beschließen, für die betreffenden Kreise eine entsprechende Mehr= oder
Minderbelastung eintreten zu lassen. Die Mehrbelastung kann nach Maßgabe der Be-
schlüsse des Landtages durch Naturalleistungen ersetzt werden.
4) Die Verteilung der Provinzial-(Bezirks-)Abgaben auf die Stadt= und Lanokreise
liegt dem Provinzial-Landes-) Ausschusse ob. Der Betrag der vom Landtage ausge-
schriebenen Abgaben sowie die Verteilung desselben auf die Kreise sind durch die Amts-
blätter der Provinz (des Bezirks) bekannt zu machen. In dem Ausschreiben ist der
Bedarf für Verkehrsanlagen besonders anzugeben, und die Kreise können diesen Teil der
Provinzialabgaben dann in ebenderselben Weise aufbringen wie die für Verkehrsanlagen
zu erhebenden Kreisabgaben.
1 Vgl. v. Brauchitsch, II, S. 232, Anm. 05,
und v. Stengel, Organisation, S. 303.
2 Vgl. oben S. 116. Die Prov. Ordugn.
sprechen nicht von einer Verteilung der Provin-
zialabgaben auf die in den Kreisen „zu ent-
richtenden “, sondern unklarer von einer Ver-
teilung auf die „in ihnen aufkommenden
direkten Staatssteuern“.
Vgl. O. V. G., IX. S. 1.
*K. A. G., §. 91, Abs. 2. Die Abänderung
der Veranlagung ist von den Provinzialbehörden
von Amts wegen zu bewirken. Schon vor Erlaß
des K. A. G. konnte derjenige Kreis, dessen bei
der Veranlagung zu den Provinzialabgaben zu
Grunde gelegtes Staatssteuersollaufkommen in-
folge von Reklamationen sich minderte, eine
entsprechende Herabsetzung seimds Abgabenbei-
trages beanspruchen, allein er mußte seinen
Anspruch innerhalb der Reklamationsfrist mittels
Reklamation geltend machen. Eine erst nach
Ablauf der einzuhaltenden Reklamationsfrist
durchgesetzte Berichtigung konnte der Kreis nicht
mehr für sich verwerten. O. V. G., X, S. 4;
XI, S. 1; XXVI, S. 1. Diesem in der Praxis
oft schwer empfundenen Mangel ist jetzt abge-
bolfen.
Schoen.
5* O. BV. G., VII, S. 115; IX, S. 1, 10; X,
S. 5; XI, S. 1.
( Prov. O., §. 110. Die Vorschrift, daß die
Mehr= oder Minderbelastung nach Quoten der
direkten Staatssteuern zu bemessen sei, ist durch
§. 91, Abs. 1, Z. 3 des K. A. G. beseitigt. Uber
die zulässigen Maßstäbe wie auch über den Er-
satz der Mehrbelastungen durch Naturalleistungen
ogl. die hier analog zur Anwendung gelangen-
den Ausführungen auf S. 417. In Hessen-
Nassau können Mehr- oder Minderbelastungen
nur die Kommunallandtage, nicht der Provinzial-
landtag beschließen. Prov. O., §. 82 u. §. 86,
Abs. 2. Die A. u. L. O. hohenz. kennt eine
Mehr= oder Minderbelastung einzelner Amts-
verbände überhaupt nicht.
7 Prov. O., §. 111; hess. nass., §. 83. Die
eigentlichen Provinzialabgaben sind in Hessen=
Nassau vom Prov. A. auf die beiden Bezirks-
verbände zu verteilen. Prov. O. bess.= nass.,
§. 86, Z. 5. Uber die Hervorhebung des Be-
darfs für Verkehrsanlagen vgl. v. Brauchitsch,
II, S. 235, Anm. 109, und über die Aufbringung
der für Verkehrsanlagen zu erhebenden Kreis
abgaben oben S. 415.
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