470 Fünfter Abschnitt. (8. 141.)
III. Eine ähnliche Stellung wie die kommunalständischen Verbände in den alten
Provinzen nehmen die früheren Provinziallandschaften von Hannover ein, in
welchen die Ritterschaften mit den Städten und meist auch mit den Landgemeinden zu
einem ständischen Körper vereinigt waren. Ebenso wie in Preußen gab es auch in
Hannover zunächst keine allgemeinen Stände, sondern nur Provinzialstände (Ritter-
und Landschaften) für jedes der historischen Territorien, aus welchen der hannöversche
Staat zusammengewachsen war. Die Fremdherrschaft machte diesen Provinzialland=
schaften nur vorübergehend ein Ende. Nach Abschüttelung des französischen Jochs wurden
sie wieder ins Leben gerufen und reorganisiert; sie sollten mit beschränkteren Kompetenzen
neben der neuerrichteten allgemeinen Ständeversammlung! fortbestehen. So bestimmte
§. 73 des Grundgesetzes des Königreichs v. 26. Sept. 1833 (hann. G. S., Abt. I. S. 279),
daß Provinziallandschaften bestehen: a) für die Fürstentümer Kalenberg, Göttingen und
Grubenhagen nebst den vormals hessischen Amtern im Fürstentum Göttingen und dem
hannöverschen Eichsfelde; b) für das Fürstentum Lüneburg mit Einschluß der hannöver-
schen Teile des Herzogtums Sachsen-Lauenburg; c) für die Grafschaften Hoya und Diep-
holz mit den vormals hessischen Amtern in diesen Provinzen; d) für die Herzogtümer
Bremen und Verden mit dem Lande Hadeln; e) für das Fürstentum Osnabrück; f) für
das Fürstentum Hildesheim nebst der Stadt Goslar; g) für das Fürstentum Ostfriesland
und das Harlingerland. Das spätere Landesverfassungsgesetz v. 6. Aug. 1840 (hann.
G. S., Abt. I. S. 141) wiederholte diese Anordnung und erklärte ausdrücklich, daß den
Provinziallandschaften ihre Rechte verblieben, soweit sie nicht auf die allgemeine Stände-
versammlung übergegangen waren; besonders wurde ihnen eine Mitwirkung bei Erlassung,
Wiederaufhebung und Abänderung der Provinzialgesetze zugesichert.? Ein im Jahre 1851
gemachter Versuch, die Zusammensetzung und den Wirkungskreis der Provinzialland=
schaften durch ein allgemeines Gesetz zu bestimmen, blieb erfolglos. Die Verhältnisse
einzelner Landschaften wurden durch besondere Gesetze geregelt; soweit dies nicht ge-
schah, blieben die älteren ritterschaftlichen Statuten und das Gewohnheitsrecht“ jeder
einzelnen Korporation maßgebend. Bei Einverleibung des Königreichs Hannover in
die preußische Monarchie wurden die alten hannöverschen Landschaften ihrer politischen
Stellung und Bedeutung gänzlich enthoben, sie sollten jedoch als Korporationen mit
Selbstverwaltung ihrer kommunalen Institutionen fortbestehen bleiben. In diesem Sinne
hat die Verordnung v. 22. Sept. 1867 (G. S., S. 1635) bestimmt, daß die oben ge-
nannten sieben Provinziallandschaften im Gebiete des ehemaligen Königreiches Hannover
nach Wegfall der ihnen früher zuständig gewesenen weiter gehenden Rechte, insbesondere
bei der Gesetzgebung, ausschließlich für die Wahrnehmung kommunaler Angelegenheiten
der Landschaftsbezirke als besondere Korporationen unter Aufsicht der Staatsregierung
bestehen bleiben sollen, und daß ihnen besonders das Recht zur Verwaltung, bezw. Ver-
tretung des landschaftlichen Vermögens, landschaftlicher Stiftungen, Institute und An-
lagen, sowie die bisherige Befugnis, den Landschaftsbezirk unter Genehmigung der
Staatsregierung mit Beiträgen und Leistungen für Landschaftszwecke zu belasten, ver-
bleibt. Gleichzeitig führt die Verordnung für die Provinziallandschaften die offizielle
Bezeichnung „Landschaften“ und für den bei jeder Landschaft bestellten ständigen Ver-
waltungsausschuß (früher Landrat genannt) den Titel „Landschaftsrat“ ein. Endlich de-
1 Die allgemeine Ständeversammlung wurde
in Hannover eingeführt durch Patent vom
7. Dez. 1819 (hann. G. S., Abt. I, S. 135).
2 Ges. v. 6. Aug. 1840, 88. 81, 82 u. 113.
Der §. 23 des Gesetzes v. 5. Sept. 1848
(bann. G. S., Abt. I, S. 261) hatte als Zusatz
zu §. 82 des Ges. v. 6. Aug. 1840 bestimmt,
„daß die Verhältnisse der Provinziallandschaften,
deren Zusammensetzung und Wirkungskreis nach
vorgängiger Verhandlung mit den bestehenden
Provinziallandschaften durch die allgemeine Ge-
setzgebung geregelt werden sollten“. In Ausfüb-
rung dieser Vorschrift erging das Ges. v. 1. Aug.
1851, betr. die Reorganisation der Provinzial=
landschaften (hann. G. S., Abt. I, S. 167). Dieses
wurde jedoch zugleich mit §. 33 des Ges. v. 5. Sept.
1848 durch die königl. Vdg. v. 16. Mai 1855 (hann.
G. S., Abt. I, S. 127) wieder aufgeboben. Uber
die an das Ges. v. 1851 sich knüpfende Streitfrage
betr. das Verhältnis der Provinzialstände zur all-
gemeinen Gesetzgebung vgl. die ältere Litteratur
bei v. Rönne, Staatsrecht d. Preuß. Monarchie,
3. Aufl., I,. 2. Abt., S. 473, Anm. 7.
* Die betreffenden hannöverschen Gesetze,
welche heute noch von Bedeutung sind, sind
im Folgenden bei Besprechung der einzelnen
Landschaftsvertretungen angegeben. Eine gesetz-
liche Regulierung hat nicht stattgefunden für die
Provinziallandschaften des Fürstentums Oena-
brück und des Fürstentums Hildesheim.