Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

Ortsgemeinden; geschichtliche Entwickelung der Ortsgemeinden. (F. 9.) 37 
Rechte der Quantität der Pflichten korrespondieren müsse, daß demjenigen, der einen 
höheren Beitrag zu den Kosten des Gemeinwesens leistet, auch ein größerer Anteil an 
der Wahl der ihn besteuernden und das Gemeindevermögen verwaltenden Vertretung ge- 
bühre, und acceptierte für die Stadtverordnetenwahlen das Dreiklassensystem, welches 
in der Rheinprovinz ja bereits durch die rheinische Gemeindeordnung von 1845 Eingang 
gefunden hatte. Aber noch eine andere das Wahlrecht betreffende Bestimmung hat 
lediglich die Interessen des Kapitalismus im Auge: zu seinen Gunsten ist der Kreis 
der Wahlberechtigten ausnahmsweise erweitert, ein persönliches Verhältnis des Individuums 
zur Korporation, der Wohnsitz in der Gemeinde für gewisse Höchstbesteuerte nicht zur 
unerläßlichen Bedingung der politischen Gemeinderechte gemacht, und zugleich diesen außer- 
halb der Gemeinde sich aufhaltenden Wahlberechtigten gestattet, ihr Wahlrecht durch zu 
Gemeindewahlen qualifizierte Bevollmächtigte wahrnehmen zu lassen. Somit ist auch der 
Satz der Städteordnungen, daß die Ausübung des Wahlrechts nur persönlich erfolgen 
dürfe, durchbrochen. ? 
IV. Die Wahl der Stadtverordneten, welche alle zwei Jahre stattfindet, erfolgt 
auf sechs Jahre mit Drittelerneuerung in jedem zweiten Jahre, und zwar durch münd- 
liche Stimmabgabe zu Protokoll. Die Anzahl der Stadtverordneten ist nach der Gröste 
der Städte gesetzlich verschieden fixiert. Stellvertreter werden überhaupt nicht mehr be- 
stellt. Die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung, welche die Bezeichnung Gemeinde- 
rat führt, sind öffentlich, jedoch kann für einzelne Fälle die Offentlichkeit durch besonderen 
Beschluß ausgeschlossen werden. 
V. Der Magistrat, Gemeindevorstand genannt, besteht“ aus einem Bürgermeister, 
einem Beigeordneten als Stellvertreter und mehreren unbesoldeten Ratsherren, deren An- 
zahl für die einzelnen Städte je nach ihrer Größe im Gesetz bindend vorgeschrieben ist. 
Außerdem können noch, soweit es das Bedürfnis erfordert, besoldete Mitglieder für 
gewisse Geschäftszweige gewählt werden. Alle Mitglieder des Gemeindevorstandes werden 
von dem Gemeinderat gewählt, und zwar der Bürgermeister und die besoldeten Mit- 
glieder auf zwölf, die übrigen auf sechs Jahre.5 Beseitigt ist die Ernennung des Bürger- 
meisters von Seiten des Staates, weil man hierin eine nicht zu billigende Loslösung 
desselben von der Gemeinde fand, und ebenso die Anstellung auf Lebenszeit, weil es 
bedenklich sei, die Gemeinde einen Mißgriff bei der Wahl auf die Lebenszeit des Ge- 
wählten entgelten zu lassen. Beseitigt ist auch das Bestätigungsrecht der Regierung 
bezüglich der Magistratsmitglieder, nur für den Bürgermeister und den Beigeordneten 
ist es beibehalten, weil die Gemeindeordnung diesen Personen außer den Geschäften der 
Gemeindeverwaltung auch eine Anzahl staatlicher Funktionen überträgt. Wird die Be- 
stätigung einer Wahl zum zweitenmal versagt, oder verweigert der Gemeinderat die 
Wahl, so kann staatlicherseits die Stelle besetzt werden, und zwar nicht wie nach der 
Städteordnung von 1831 nur für so lange, bis der Gemeinderat eine geeignete Person 
wählt, sondern von vornherein auf sechs Jahre.7 
VI. Das Verhältnis der beiden Organe zu einander ist im wesentlichen 
nach den Bestimmungen der Städteordnung von 1831 geregelt. Der Gemeinderat ist 
vorzüglich zur Beschlußfassung über die Gemeindeangelegenheiten berufen. Der Gemeinde- 
vorstand ist wie früher das ausschließliche Organ für die Verwaltung und Vollziehung 
und wird hierin durch den Gemeinderat kontrolliert, zugleich aber sind seine Rechte 
diesem gegenüber erweitert, und es ist ihm eine kraftvolle Einwirkung auf die Beschlüsse 
des Gemeinderats ermöglicht, indem er sie vorzubereiten und gegen ihre Ausführung ein 
suspensives Veto hat.3 
VII. Der Umfang der Staatsaufsicht über die Gemeinden hat geringe Modi- 
fikationen erlitten. Hervorzuheben ist nur die freiere Stellung der Gemeinden auf dem Ge- 
biete der Kommunalbesteuerung: die Unzulänglichkeit des Gemeindevermögens zur Deckung 
  
1 G. O., 5. 11. Bgl. dazu die Motive bei 5 G. O., 8. 29. 
Sv. Rönne, G. O., S. 86. * Vgl. v. Rönne, G. O., S. 132. 
: G. O., §. 5. 7 G. O., F. 31. 
„ G. O., 98. 10 ff. * G. O., §. 53, Z. 2. 
1 G. O., §. 27.
	        
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