Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

68 Zweiter Abschnitt. (8. 16.) 
III. 1) Ist diese Verfassung eine städtische, so ist die Gemeinde eine Stadt im 
Rechtssinne, ohne Rücksicht auf ihre etwa abweichende Benennung. 
Streitigkeiten über die Eigenschaft einer Ortschaft als Stadtgemeinde sind im Ver- 
waltungsstreitverfahren durch den Bezirksausschuß zu entscheiden. W 
Die Frage nach der Entstehung einer Stadtgemeinde ist, da das Kriterium der- 
selben allein in der städtischen Verfassung liegt, identisch mit der Frage, wie eine 
Gemeinde in den Besitz dieser Verfassung kommt. Diese kann nicht von jeder Ge- 
meinde beliebig angenommen werden, sondern sie muß ihr durch Gesetz? oder auf Grund 
eines solchen durch königliche Verordnung verliehen werden. Nur mit Genehmigung des 
Königs können neue Städte entstehen. 
Eine Gemeinde hört auf eine Stadt zu sein, sobald sie ihre städtische Verfassung 
aufgiebt; auch hierzu und zur Annahme der Landgemeindeverfassung bedarf es königlicher 
Genehmigung. 
2) Ist die Verfassung einer Gemeinde eine Dorfverfassung, d. h. gilt in dem 
Gemeinwesen eine der erwähnten Landgemeindeordnungen oder ist die Gemeinde im 
Geltungsbereich derjenigen Gemeindeordnungen, welche Stadt und Land gleichmäßig be- 
handeln, nicht ausdrücklich als Stadt anerkannt, so liegt eine Landgemeinde vor. 
Charakteristisch ist ihr ebenso wie der Stadtgemeinde, daß ihre Angehörigen durch den 
Gemeindeverband zusammengehalten werden und daß sie der öffentlichen Gewalt des 
Verbandes als solchen untergeordnet sind. Dadurch unterscheidet sich die Landgemeinde 
wesentlich von dem selbständigen Gutsbezirke, welcher ihr in dem größten Teile der Monarchie 
gegenübersteht und gleich ihr einen integrierenden Bestandteil der Verfassung des platten 
Landes bildet. Auch die Angehörigen des selbständigen Gutsbezirkes sind auf einem räum- 
lichen Gebiete nachbarlich ansässig, aber sie hält kein Gemeindever band zusammen, sondern 
sie sind unmittelbar einer Gutsherrschaft untergeordnet; nicht zueinander, sondern nur 
zur Gutsherrschaft stehen sie in einer rechtlichen Beziehung, die Unterordnung unter 
die letztere ist das einzige Moment, welches ihnen gemeinsam ist. Die Gutsherrschaft 
ersetzt für sie vollständig den Gemeindeverband, und ihr liegen daher auch in dem Guts- 
bezirke, wie unten weiter zu erörtern sein wird, alle diejenigen öffentlich-rechtlichen Pflichten 
ob, welche einer Landgemeinde als Gesamtheit zukommen. 
Streitigkeiten über die Eigenschaft eines Ortes als Landgemeinde sind im Ver- 
waltungsstreitverfahren durch den Kreisausschuß zu entscheiden. 
Die Neubildung von Landgemeinden setzt, abgesehen von Hannover, wo der 
Oberpräsident über sie zu entscheiden hat, königliche Genehmigung voraus.“ Diese ist 
auch in der Rheinprovinz erforderlich, nur in einem Falle ist hier der Oberpräsident 
kompetent. Indem die rheinische Gemeindeordnung als Kriterium einer selbständigen 
Gemeinde einen eigenen Haushalt für Kommnnalbedürfnisse, „es sei auf den Grund 
eines besonderen Etats oder einer Abteilung des Bürgermeistereietats“, bezeichnet, bestimmt 
sie, daß solche Orte, bei denen zur Zeit ihrer Emanation dieses Merkmal nicht vor- 
handen war, die aber früher besondere Gemeinden bildeten und noch gegenwärtig er- 
hebliche besondere Interessen haben, durch den Oberpräsidenten als selbständige Gemeinden 
wiederhergestellt werden können, wenn zwei Drittel ihrer zur Ausübung des Gemeinde- 
  
1 An einer gesetzlichen Vorschrift über die 
Entscheidung dieses immerhin denkbaren Streites 
sehlt es, jedoch dürfte die Zuständigkeit des 
Bezirksausschusses als Verwaltungsgericht hier 
dem Geiste des Zust. G. entsprechen, welches in 
Titel V die Angelegenheiten der Landgemeinden 
ganz analog den Angelegenheiten der Städte 
in Titel IV geregelt hat, für erstere aber aus- 
drücklich bei Streitigkeiten über ihre kommunale 
Eigenschaft in §. 26, Abs. 1, das Verwaltungs- 
streitrerfahren vor dem Kreisausschuß vor- 
schreibt. Vgl. den im übrigen gleichlautenden 
8. 9 des Zust. G. und dazu Anm. 14 bei Brau- 
cuich, 1. S. 197. Über die Bestellung eines 
Kommissarius zur Wahrnehmung des öffent- 
lichen Interesses als Partei in diesem Streit- 
  
verfahren vgl. O. V. G., XII,. S. 178. Inci-= 
denter ist die Frage, ob eine bestimmte Ort- 
schaft als Stadt zu betrachten sei, übrigens 
schon einmal entschieden. O. V. G., XIII, S. 182. 
: Im kurhessischen Rechtsgebiet kann eine 
Gemeinde nur durch Gesetz zur Stadt erhoben 
werden. G. O. kurb., §. 1, Abs. 2. 
Zust. G., §. 26, Abs. 1. Für das Verfahren. 
ist ein Kommissarius zur Wahrnehmung des 
öffentlichen Interesses als Partei zu bestellen. 
O. V. G., XII, S. 178. 
4 L. G. O. ö. u. schlesw.-bolst., s. 2, Z. 1 
u. 4 letzter Satz; w., §. 6, Abs. 4; hann. Landes 
Verf. Ges. v. 1840, §. 54. Dazu M. Erl. v. 
8. Aug. 1874 (V. M. Bl., S. 173) u. O. V. G., 
XIX, S. 152; G. O. kurh., §. 4, Abs. 3.
	        
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